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Verbrecherische Telezoologie aus der Mauerzeit

■ So viele Produzenten wollen Krimis in Berlin drehen, daß Arte einen Film darüber zeigt: Wieder mal das sattsam bekannte Genre der Berlin-Reportage. („Tatort Berlin“, 20.15 Uhr)

Selbst im Verbrechen ist dem Berliner an der Betonung seines lokalen Charmes gelegen, und eine materialreiche Sittengeschichte befaßt sich seit jeher mit dem Berliner Gaunertum. Bereits der erste Band der legendären, von Hans Ostwald um 1900 herausgegebenen Schriftenreihe der „Großstadtdokumente“ stellt „Dunkle Winkel von Berlin“ vor und widmet sich später noch einmal dem „Berliner Schwindel“ sowie seinem „Zuhältertum“. Wer den „Tatort Berlin“ aufsucht, kann nur schwer an der skurrilen, bisweilen grotesken, aber nie langweiligen Geschichte des Berliner Verbrechens vorbei.

Dies ist auch ein beliebter Stoff für Regisseure und Drehbuchschreiber. Die Wißbegierde über die Abgründe des Sozialen in der Millionenstadt werden zusätzlich durch Stadtrundfahrten zu allen möglichen historischen Stätten des „kriminellen Berlins“ unterstützt. Trickbetrüger, Serienmörder und Ausbrecherkönige sind die zum Teil unbekannten Helden der Berliner Kriminalgeschichte, deren jüngster Superstar Arno Funke alias Dagobert die Schwelle zu seiner Historisierung bereits überschritten zu haben scheint. Der Rest ist der Job von Krimiserien im Fernsehen.

Womöglich hätte da eine Fernsehreportage, die sich wiederum mit den Drehs am „Tatort Berlin“ beschäftigt, ebenso spannend werden können wie Filme über die Halbwelt und das Milieu. Doch in der Arte-Reportage von Jürgen Vogt wird es nicht besonders prickelnd, wenn Frau Wegener, die „Krimibeauftragte“ der Berliner Polizeidirektion, gezeigt wird. Zwar steht Polizistin Wegener nicht nur den Fernsehproduzenten von „Rosa Rot“, den „Straßen von Berlin“ bis zu „Ein starkes Team“ mit Rat und Tat zur Seite und erteilt Drehgenehmigungen, sondern organisiert auch mal waghalsige Hubschraubermanöver und ist Ansprechpartnerin, wenn eine Hundestaffel zur Fährtensuche ins Bild gesetzt werden soll. Aber die Fährte der Polizistin verliert sich im Verlauf des Rundgangs über den Krimischauplatz Berlin bald. Wenig später steht unversehens Harald Juhnke im Bild und erklärt, wie auch er einmal in einen Berlin- Krimi geriet.

Mit anderen Worten: Die Fernsehreportage „Tatort Berlin“ ist eine weitere Ausgabe des sattsam bekannten Genres der Berlin-Reportage, die unablässig über Nachtleben, Kneipentreiben und Aufregendes für Zwischendurch berichtet. Telezoologie aus den Tagen der Mauerzeit.

Ein paar Prominente am Set und ein paar liebenswürdige Typen wie der Effektenmacher, der noch einmal den alten Trick mit dem Fernsehmesser erklärt und über die unterschiedliche Konsistenz des Fernsehbluts zu referieren weiß.

Statt zahlreicher „location- scouts“, die ständig auf der Suche nach passenden Orten für den jeweiligen Kamerausschnitt sind, wünschte man sich ab und zu ein paar Ideen zu den Abenteuern gleich um die Ecke. Das Berliner Verbrechen ist nämlich immer noch anders als anderswo. Harry Nutt

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