: Chinas Zukunft gehört zwei Greisen
Die Volksrepublik China und Taiwan wollen heute wieder den vor fünf Jahren unterbrochenenen Dialog aufnehmen. Beide Seiten hoffen auf eine Aussöhnung und den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen ■ Aus Peking Georg Blume
Zwei sehr alte Chinesen geben sich heute zum zweiten Mal die Hand. Sie treffen sich in Shanghai und wollen den Abend in der Oper verbringen. Nebenbei, so lassen ihre Regierungen verlauten, soll es auch Gelegenheit zu Gesprächen geben. Das erste Mal trafen sich der 81jährige Koo Chenfu, taiwanischer Chefunterhändler für Festlandangelegenheiten, und sein volksrepublikanischer Counterpart Wang Daohan (84) vor fünf Jahren in Singapur. Ihre historische Begegnung von 1993 markierte den ersten offiziellen Kontakt zwischen den seit dem Bürgerkrieg in der ersten Jahrhunderthälfte verfeindeten chinesischen Kommunisten und der nach ihrer Niederlage 1949 nach Taiwan geflohenen Kuomintang. Bereits vor fünf Jahren hoffte man, das Ende des Kalten Krieges könne sich auch auf die innerchinesischen Beziehungen niederschlagen. Doch dann folgte die Taiwan-Krise.
Nur wer sich den dramatischen Militäraufmarsch der bevölkerungsreichsten Nation der Welt im März 1996 an der Taiwan-Straße nochmals vor Augen führt, ahnt etwas von der Bedeutung des heutigen Operntreffens in Shanghai. Acht Raketen feuerte die Volksbefreiungsarmee damals auf Zielgebiete in der Nähe taiwanischer Überseehäfen. Daraufhin stürzten die Aktienkurse in Taipeh, auf den Straßen der Inselhauptstadt tummelten sich ebenso ängstliche wie ärgerliche Unabhängigkeitbefürworter, bis zwei US-Flugzeugträger und drei amerikanische Atom- U-Boote den Status quo ante wiederherstellten. Die beiden Chinas, so sah es zumindest in den Augen beider Bevölkerungen aus, waren nur knapp einem Krieg entkommen. Die zweieinhalb Jahre, die seither verstrichen, sind insofern keine lange Zeit – zwei alte Herren wie Koo und Wang wissen das.
Ihr Auftrag könnte schwerer nicht sein: Ausgerechnet in Zeiten der Asienkrise sollen sie das aufmüpfige, demokratisierte Wohlstandsland Taiwan dem reformgeplagten, unterm Wachstumsschwund zitternden Entwicklungsland China näherbringen. Kulturell klaffen inzwischen Welten zwischen den beiden Chinas, aber natürlich ist das auch ein Grund, weshalb sich die Alten, die beides noch als zusammengehörig empfinden, diesmal beeilen wollen.
Es gilt, keine Zeit zu verlieren: Noch ist seit der Hongkong-Rückgabe im vergangenen Jahr alles gut gelaufen. Peking hat bei der angestrebten Wiedervereinigung aller Chinas einen wichtigen Teilerfolg errungen. 1999 wird Macao dem Hongkonger Beispiel folgen. So birgt die gegenwärtige Übergangsphase die Möglichkeit, das erhitzte Verhältnis zu Taipeh abkühlen zu lassen und eine normale Gesprächsebene zu finden. So soll die fiktive Wiedervereinigung in den nächsten Tagen kein Thema sein, obwohl sogar Staats- und Parteichef Jiang Zemin in Peking den Gast aus Taiwan empfangen will.
An dieser Geste mißt sich die Kompromißbereit der kommunistischen Führung: Sie belastete den innerchinesischen Dialog bisher stets mit der Bedingung, daß es sich um politische Verhandlungen über die Heimkehr der abtrünnigen Provinz handeln müsse. Taipeh hingegen wollte stets nur über Formalitäten wie die Erleichterung des Reiseverkehrs sprechen. So kommt es, daß die Shanghaier Oper auf dem Mittelweg liegt.
Verhandlungsergebnisse sind dort also schon deshalb nicht zu erwarten, weil es sich offiziell gar nicht um Verhandlungen handelt. Und doch ist die Öffentlichkeit auf beiden Seiten der Taiwan-Straße von dem innerchinesischen Dialog tief bewegt. Intellektuelle in Peking haben bereits den Aufruf zu einer „chinesischen Konföderation“ unterzeichnet. Ähnlichkeiten mit der Wiedervereinigungsdebatte in Deutschland gibt es eben trotz aller Unterschiede.
Das große Interesse an der Annäherung beider Chinas hat auch handfeste Gründe. Denn je stärker die Asienkrise beide Länder betrifft, desto mehr hoffen sie die Hilfe des anderen. Taiwanischen Unternehmen ist es bisher aus Angst vor der Abhängigkeit von Rotchina untersagt, größere Investitionen auf dem Festland zu tätigen.
Gleichwohl haben taiwanischen Firmen legal und illegal seit Beginn der 90er Jahre über 30 Milliarden Dollar in der Volksrepublik investiert. Das Ziel eines freien Wirtschaftsverkehr ist deshalb für beide Seiten verlockend: Die Volksrepublik benötigt so dringend neue Investitionen wie Taiwan billige Arbeitskräfte. Darauf wollen die beiden alten Männer in Shanghai heute bauen.
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