: Sex in der Biomülltonne
■ Elf schwule und lesbische Filme und große Party beim 5. schwul-lesbischen Filmfest im Kino 46
Sex in der Biomülltonne. Zugegeben, diese Überschrift ist weder geistreich noch bildsam. Sie muß aber sein, wegen der Werbewirkung. Die Veranstalter des queer-Festivals haben nämlich festgestellt, daß schwierige Filme in Bremen nicht so gut ankommen, am besten diejenigen, die lustig und erotisch zugleich sind. Eben Sex in der Biomülltonne. Den gibt es zwar nicht in der Woche vom 15.-21. Oktober zu sehen, dafür zeigt Mick Jagger als Varieté-Tunte viel wohlgeformtes Bein („Bent“, 15.10, 20.30 Uhr); Roger Daltrey, einst Sänger von „The Who“ intrigiert als erfolgreicher Londoner Musikproduzent gegen einen Kickboxer, der ihm seinen geliebten DJ ausspannen möchte und obendrein aus dem eklig-proligen Blackpool kommt (“Like it is“, 18.10., 20.30 Uhr); und Tony Ward, Madonnas Ex-Lover, erzählt in „Sex/Life in L.A.“ (16.10., 22.30 Uhr) wie es war mit Madonna. Dieser einzige Festivalbeitrag aus Deutschland läßt außerdem neun Fotografen, Callboys und Pornodarsteller erzählen von ihrem schweißtreibenden Arbeitsleben und von der Magie der Lichter in L.A.: Drei starke Lockmittel, auf die eigentlich auch Heteros anspringen müßten. Trotzdem bilden sie die Minderheit im Publikum von queer-Filmen. Das ist schade. Und seltsam. Denn in heutigen schwul-lesbischen Filmen fungiert die Homosexualität nicht mehr als DER Dreh-, Angel- und Problempunkt eines Films. Stattdessen reiht sie sich gleichberechtigt neben anderen Themen ein wie Fahrradfahren und Nationalsozialismus. Streng genommen existiert also der Schwulen- und Lesbenfilm nicht mehr. Dafür gibt es immer mehr Filme, in denen schwul-lesbische Liebesbeziehungen mehr oder weniger am Rande auftauchen. Das ist schön. Im Berliner Magazin „Siegessäule“ wird zu jeder Berlinale eine Liste von Filmen mit schwul-lesbischen Vorkommnissen erstellt. Die wird von Jahr zu Jahr länger, erzählt Christine Rüffert vom Kino 46.
Schwule drehen gerne Schwulenfilme, sehen sie sich aber nicht an; Lesben dagegen sehen sich gerne Lesbenfilme an, drehen aber keine, erzählen die vom Arbeitskreis, die das queer-Festival im Kino 46 auf die Beine gestellt haben. Verquere Verhältnisse. Das Lesben Filmfest Berlin hätte dieses Jahr beinahe passen müssen, weil sie kaum vorzeigbares Material fanden. „Miese Schauspieler, schlechte Technik“, meinen Olav, Rut und Claudia, die diesmal zusammen mit den Veranstaltern der Hamburger schwul-lesbischen Filmtage und der Berliner Lesbenfilmtage Berge an Zelluloid sichteten. Am Ende konnte man doch noch elf Highlights für Bremen aufspüren.
„Bent“, der Film mit Mick „die Schnauze“ Jagger, erzählt vom Überleben zweier Schwuler in einem deutschen KZ. „The Brandon Teena Story“ recherchiert akribisch den Mord an einer Transvestitin am Silvestertag 1993. In einem Provinzkaff, an dem die Gender-Debatte vorbeigegangen sein muß, lebte und lachte Tina Brandon als Mann und starb als vergewaltigte Frau. „The unknown Cyclist“ beobachtet vier junge Menschen beim Fahrradfahren. Beim Duchdrehen der Pedale werden auch gleich die erotischen Ängste und Träume durcheinandergewirbelt.
„High Art“ (17.10., 20.30 Uhr) kommt so schlurfig-ruhig, tieftraurig, ding-, menschen- und lebensverliebt daher als sei er die filmische Umsetzung des Triphopsounds von Portishead oder der Schnappschußimitationen der berühmten Fotografin des Drogenmilieus Nan Goldin. Geduldig, ohne schnelle, extravagante Schnitte bewegt sich die Kamera durch eine Gruppe ruhiggestellter, glücklich-verzweifelter Morphinisten, geht zusammen mit den drei weiblichen Protagonisten auf die Toilette, in die Badewanne oder auf die Knuddelcouch und lauscht Gesprächen, die keinen rechten Kern haben aber vibrieren von Gefühlen der Liebe und Vergeblichkeit. Eine der Hauptfiguren ist Fotografin. Und in den Gesprächen über die Kunst der Porträtfotografie beschreibt der Film sich selbst. Es geht um die bewußte Inszenierung von unverfälschter Unmittelbarkeit, um das Erhaschen des flüchtigen Augenblicks durch kunstvollen Einsatz von Perspektive und Licht. Der Film eröffnete in diesem Jahr das schwul-lesbische Filmfest von San Francisco. Im Grunde aber zeigt er keine lesbischen Beziehungen, sondern eine Frau, die sich in Menschen verliebt. Einmal ist es ein Mann, das nächste Mal – zu ihrem eigenen Erstaunen – eine Frau. Vielleicht ist es ein kleines Fitzelchen lesbische Ideologie, daß der Mann ein bißchen einfach, eng und stur wirkt, die Frau dagegen mutig, melancholisch, lebendig.
Fotos gibt es aber auch außerhalb des Films. In Fluren und Café des Kino 46 dokumentieren quietschbunte Fotos von Atas Artamochine und Petra Gall den Cristopher Street Day in Berlin. Diese Bilder passen im Unterschied zu „High Art“ nicht die Menschen in unbewußten Momenten ab, sondern zeigen ihre Freude an der Selbstinszenierung. Barbara Kern
Am 17. 10. um 22.30 Uhr sind die schönsten Kurzfilme des Berliner Lesbenfests zu sehen. Am 21.10. stellt die Fernsehjournalistin Kris Clarke ab 18.30 Uhr zwei Filme über Armistead Maupin und über Transsexuelle vor.
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