: Trotz Hilfe kein Ende der Krise
Die Kreditklemme in der japanischen Wirtschaft verschärft sich trotz 840 Milliarden Mark für die Sanierung der Banken. Durch die Beihilfen fürchten sie Gesichtsverlust ■ Aus Tokio André Kunz
„Jetzt zahlt also jeder Japaner 6.666 Mark für die Banken, die uns keine Kredite geben“, rechnet Hiroshi K. vor und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Im Lärm einer bejahrten Stanzmaschine, die aus Aluminiumblech Streben für Fensterrahmen hämmert, erzählt Hiroshi über seinen Ärger mit der Hausbank. Sie verweigert ihm seit Monaten einen Kredit über 60.000 Mark für zwei neue elektronisch gesteuerte Fräsen. Die braucht er unbedingt, um die Produktion für seine patentierten Fensterrahmen zu erhöhen. Der 36jährige Handwerker ist besorgt, weil er ohne die Fräsen zwei große Aufträge absagen muß. Für den Kleinbetrieb mit sieben Arbeitern könnte dies der Untergang sein.
Die Hoffnung, den Kredit doch noch rechtzeitig zu erhalten, hatte Hiroshi bis Dienstag nicht aufgegeben. Sobald er hörte, daß die Banken mit sagenhaften 840 Milliarden Mark öffentlichen Zuschüssen gestützt werden sollen, griff er zum Telefon und sprach mit der Hausbank. Die beschied ihm, daß sein Kreditbegehren frühestens in drei Monaten entschieden werde. „Zu spät für mich“, sagt Hiroshi am Mittwoch. Sechs Jahre hat er gearbeitet, um den eigenen Betrieb aufzubauen. Nun steht er vor dem Aus.
Tausende von japanischen Kleinbetrieben erfahren die Kreditklemme in der Finanzindustrie auf dieselbe Weise wie Hiroshi. Tausenden von ihnen bleibt nur der Weg zum Konkursamt, weil sie ohne Sicherheiten wie Land oder andere Sachwerte momentan keine Kredite mehr von den japanischen Banken erhalten. Die Spirale dreht sich immer schneller, wie ein Notenbankbericht vom Mittwoch zeigt. Im Monat August ging die gesamte Kreditvergabe an die Industrie um 2,7 Prozent zurück. Inzwischen sind alle Banken knauserig geworden, und Finanzanalysten in Tokio gehen davon aus, daß sie trotz der öffentlichen Stützungsaktion noch ein halbes Jahr knauserig bleiben.
Gemäß dem Sanierungsplan müssen sich die Banken selbst um einen staatlichen Zuschuß bewerben, eine Klausel, die sich als fatal im ganzen Mammutpaket erweisen könnte. Bankexperten in Tokio gehen davon aus, daß genau deswegen der Kredithahn für die notleidende Kleinindustrie nicht sogleich aufgeht. „Die eigentümliche japanische Angst vor dem Verlust des guten Rufes wird die Banken davon abhalten, aus eigenem Antrieb an den staatlichen Pfropf zu gehen“, erklärt der Bankanalyst Nozomu Kunishige von Lehman Brothers in Tokio. Damit werde die Kreditklemme in den nächsten Monaten eher verschärft, nimmt Kunishige an.
In der japanischen Bevölkerung, die das „Problem des Gesichtsverlustes“ nur zu gut nachfühlen kann, ist der Bankenplan der Regierung mit Mißtrauen aufgenommen worden. Die Zustimmungsquote für Premier Obuchi und sein Kabinett sank auf das absolute Tief von 20 Prozent. Die aus internationaler Sicht durchaus sinnvolle Rettungsaktion zur Beruhigung der Finanzmärkte wird von den Leuten in Japan als doppelte Bürde betrachtet. Sie tragen die Konsequenzen der Kreditklemme: Konkurse, höhere Arbeitslosigkeit und eine sich verschärfende Rezession. Außerdem werden sie und ihre Kinder diese Rettungsaktion künftig in Form von höheren Steuern bezahlen müssen. Spätestens dann, wenn ein Teil der staatlichen Obligationen mit Laufzeiten von 15 und 30 Jahren, die für dieses Hilfspaket ausgegeben werden, zur Rückzahlung fällig sind.
Zwar hofft die japanische Regierung, einen Teil des gigantischen Paketes mit einer Ausweitung der Geldmenge finanzieren zu können. Dafür werden nächstens die Notenpressen anlaufen. Aber Leute wie Hiroshi K. rechnen mit konkreten Zahlen, und das sind 840 Milliarden Mark geteilt durch 126 Millionen Einwohner. Eben 6.666 Mark pro Kopf.
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