: „Harmonie nützt nichts“
Müssen Politikerinnen „tougher“ werden? Sind Frauen konfliktscheu, gar harmoniesüchtig? Und wo bleiben eigentlich die „jungen wilden“ CDU-Frauen? Auch Wolfgang Schäuble hat keine Gegenspielerin. Die CDU-Politikerin Rita Süssmuth über Quoten, Krisen, Jammertäler und Spitzenämter. Mit der noch amtierenden Bundestagspräsidentin sprach ■ Silke Mertins
taz: Frauen in politischen Spitzenämtern sind noch immer die Ausnahme. Auch bei der neuen Regierung wird das nicht anders sein. Sind die Männer gemein oder die Politikerinnen nicht gut genug?
Rita Süssmuth: Wenn Ämter jahrelang nicht mit Frauen besetzt wurden, dann gibt es zu wenige, die zu rekrutieren sind. In bestimmte Aufgaben müssen Frauen hineinwachsen können. Unsere männlich strukturierte Politik hat den Frauen nicht signalisiert: Kommt, euch stehen alle Positionen offen. Wenn nicht immer wieder Pressure- groups die Frauen voranbringen, fällt alles wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Sehen Sie die Quote dabei als Hilfe oder Stolperstein?
Die Quote hat, auch wenn sie eine Krücke ist, Entscheidendes vorangebracht. Es sind genügend qualifizierte Frauen präsent und bereit zum politischen Engagement. Man kann jetzt nicht mehr sagen: Die Frauen wollen ja keine Mandate. In der Frage, wie wir unsere Ziele am besten erreichen, gibt es unterschiediche Vorstellungen zwischen den Generationen. Das Verhalten der jüngeren Frauen ist anders als das meiner Generation, die die emanzipatorischen und sozialen Bewegungen miterlebt hat.
Die jüngeren Frauen, die einen selbstverständlichen Zugang zu Bildung hatten und ihre eigenen Berufswege planen konnten, sind heute der Meinung: Wir brauchen keine Förderung, das ergibt sich von selbst. Aber spätestens wenn sie eine Familie gründen, spüren sie die strukturelle Benachteiligung und merken, es ergibt sich nichts von selbst.
Die Qualifikationen sind da, der Wille zur Macht aber offenbar nicht. Ist da nicht auch Selbstkritik angebracht?
Es fehlt den Frauen, gerade in der Politik, an Durchsetzungsstrategien und Seilschaften. Hinzu kommt, daß die Unvereinbarkeit von Familie und Politik eine zusätzliche Bremse ist. Ohne Druck, und zwar nicht nur wenn ein Regierungswechsel ansteht, wird sich das Spektrum nicht verbreitern, zumal es hier knallhart darum geht, wie die Macht verteilt wird.
Die Grünen haben schon lange die Quote. Haben Sie die grünen Frauen eigentlich beneidet?
Ich habe gesehen, daß die anderen mit der Quote vieles erreicht haben, während wir nur schleppend vorankamen. Ich bin heute fest davon überzeugt, daß es ohne Regelverfahren nicht geht. Wir sehen doch, daß mit der Quote in anderen Parteien Frauen eine Selbstverständlichkeit geworden sind. Ein Verzicht auf ein solches Regelverfahren kommt einem Verzicht auf Zugang zu Ämtern und Macht gleich. Die Quote muß konsequent durchgesetzt werden. Wie groß die Widerstände sind, habe ich allzu deutlich zu spüren bekommen.
Sie ist eine Frau, und sie ist aus dem Osten, schreiben die Medien über die Qualifikationen von Politikerinnen. Ärgert Sie das?
Ja. Bevor Frauen die Quotenregelung für sich in Anspruch genommen haben, wurden auch Quoten gebildet: Arbeitgeber und Arbeitnehmer, evangelisch und katholisch, Ost und West – das sind auch Quoten, nur wurden sie nicht so negativ und abqualifizierend diskutiert wie bei den Frauen, sondern als Garant für eine gleichbleibende Teilhabe angesehen.
Den „Jungen Wilden“ in der CDU wurde nicht gerade von oben das Wort erteilt. Auch hier sind es nur Männer. Wo sind die jungen und wilden CDU-Frauen?
Die Männer besetzen die Diskussion – ein typisches Verhalten. Für dieses Schema gibt es unzählige Beispiele: die Globalisierungsfrage, die Bildungsfrage – kein einziges zukunftsweisendes Thema wurde primär von Frauen besetzt.
Das kann man nicht den Männern vorwerfen. Warum besetzen die Politikerinnen die Themen nicht?
Weil sie es nicht gelernt haben und viele sich nicht wagen und auch nicht anecken möchten: Aber ohne Courage wird es nichts. Der kulturelle Paradigmenwechsel hat trotz aller Fortschritte nicht stattgefunden. Das liegt auch an den Medien. Frauenstimmen werden schwerer gehört als Männerstimmen.
Reicht es, diesen Mangel zu beklagen?
Ändern können wir das nur, indem wir nicht endlos weiterdiskutieren, sondern uns aktiv einmischen. Darauf zu warten, gebeten zu werden, bringt nichts. In den fünfziger Jahren hatte Konrad Adenauer auch nicht vor, eine Politikerin ins Kabinett zu berufen. Eine Gruppe von Frauen ist ins Kanzleramt marschiert, hat sich dort plaziert und blieb so lange, bis sie den Kanzler sprechen konnte und von ihm die Zusage erhielt: Ihr bekommt eine Frau. Elisabeth Schwarzhaupt ist nicht von Adenauer vorgeschlagen worden, ihr Kabinettsposten wurde ihm abgetrotzt.
Keine Partei ist bei der Wahl von den Wählerinnen so abgestraft worden wie die CDU. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Gerade die älteren Frauen, die sich am stärksten um ihre Zukunft sorgen, müssen wieder stärker berücksichtigt werden. Wir dürfen sie mit ihren Ängsten nicht allein lassen. Wir haben nicht bei den Jungwählerinnen, sondern entscheidend in der Altersgruppe der 44- bis 59jährigen verloren. Das war bisher eine sichere Bank für die CDU, die mit engagierter Sachpolitik zurückgewonnen werden muß. Es geht um ihre berufliche Zukunft, ihre eigenständige soziale Sicherung. Hier klafft eine gefährliche Lücke. Die richtige Analyse bewirkt allerdings nichts ohne entsprechende praktische Konsequenzen.
Warum kommt für die Kohl-Nachfolge keine Frau in Frage?
Unsere Vorstellung von politischer Führung ist noch sehr männlich geprägt. Die Frauen haben – Gott sei Dank und leider Gottes – eine andere Vorstellung von Macht. Es geht ihnen – das zeigen alle Untersuchungen – viel stärker um Sachfragen.
Wenn die Politik nun aber ein Haifischbecken bleibt, in dem weibliche Tugenden nicht geschätzt werden, sollten erfolgsorientierte Politikerinnen dann nicht „tougher“ sein?
Tougher heißt: die alten Strukturen reproduzieren.
Na und?
Dann bleibt es aber bei den machiavellischen Strukturen, nach denen sich der erfolgreiche Politiker definiert. Wenn wir als Frauen dagegen die Vision stellen, daß man sozialen Frieden besser auf der Grundlage von Partnerschaft erreichen kann, müssen wir zu neuen Formen des Miteinanders kommen.
Wenn man auf die Umsetzung dieser Vision wartet, werden bis zur ersten Bundeskanzlerin wohl noch ein paar Jährchen ins Land gehen.
Das mag sein, ist deswegen aber nicht falsch. Wenn wir Politik anders machen wollen, müssen wir uns überlegen, wie wir Zukunftsvorstellungen auch durchsetzen können. Ohne Visionen können wir auch die Alltagspolitik nicht gestalten, weil wir dann nicht wissen, wo wir eigentlich hinwollen.
Wie wär's auf dem Weg dorthin mit etwas weniger Bescheidenheit?
Sicherlich ein wichtiger Schritt, aber wir müssen zusätzlich lernen, Streit nicht auszuweichen. Das fällt Frauen oft schwer. Mit einer Harmonieveranstaltung erreicht man aber nichts.
Wie haben Sie denn die Jammertäler auf dem Weg nach oben bewältigt?
Gelernt habe ich es nicht. Ich bin sehr weiblich sozialisiert worden, allerdings mit der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit. Und mit einem Vater, der mich immer geschubst und ermutigt hat, mich nicht mit wenig zufriedenzugeben und das gesetzte Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, auch wenn es mit sehr vielen Rückschlägen verbunden ist. Aber natürlich gibt es auch Dinge, die ich nicht erreicht habe.
Was hätten Sie denn gern noch erreicht?
Ich hätte mir gewünscht, daß die Diskussion, die wir jetzt führen, nicht mehr nötig ist. Frauenpolitik ist heute aus der Mode gekommen. Sie gilt als falscher Ansatz und manchmal sogar übertrieben. Mir geht es darum, daß Frauen nicht nur als Juristin oder Umweltexpertin Politik machen, sondern in ihren Fachbereichen die Frauenfrage einschließen. Ohne einen weiteren Blick bleibt die Welt so, wie sie ist.
Glauben Sie, daß Politikerinnen sich weniger Pannen erlauben können?
Ja. Wenn Politikerinnen, durch deren Leistungen sich manche Männer bedroht fühlen, erst einmal tief fallen, kann man das eigene Vorurteil pflegen. Der Druck ist groß. Daher möchte ich eine Erfahrung an die nächste Generation weitergeben: Durchschnittlichkeit hat keine Chance. Ein Teil der Männer in der Politik hat die fixe Vorstellung: Ich suche mir die Frau aus. Und sie nehmen am liebsten Frauen, deren Erscheinungsbild präsentabel ist. Der Kopf muß wohlgeformt sein. Was drinsteckt, ist nachgeordnet. Ich möchte, daß diese Haltung verschwindet.
Sind Frauenbündnisse in der Politik eine Chance, oder zählt das politische Zuhause doch mehr?
Wenn Sie diese Bündnisse eingehen, müssen Sie sich des Konflikts zwischen Abgrenzung und Zusammenarbeit bewußt sein. Ich denke, die parteiübergreifende Zusammenarbeit ist mehr als eine Ausnahme. In der letzten Legislaturperiode haben wir bei Entscheidungen über Prostitution, Sextourismus, Pornographie, Vergewaltigung in der Ehe und auch beim Paragraphen 218 in der Ehe zusammengearbeitet und mehr erreicht als alleine.
Hat Sie die CSU-Verfassungsklage gegen den Abtreibungskompromiß gekränkt?
Es war ein Rückschlag. Aber ich habe hier auch erlebt, wie das, was zunächst scheiterte, letztlich doch mehrheitsfähig war. Das meiste, was ich zur Neuregelung vorgeschlagen habe, wurde auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt.
In anderen Ländern gab es bereits weibliche Regierungschefs. Ist die deutsche Gesellschaft noch nicht soweit?
Wir sind einen mächtigen Schritt vorangekommen. Heute sind Frauen in politischen Führungspositionen viel eher vorstellbar als noch vor einigen Jahren. Und sie sind auch in Führungspositionen vertreten: Jutta Limbach als Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Heide Simonis als Ministerpräsidentin sowie Bundesministerinnen und Staatssekretärinnen. Frauen haben oft eine eigentümliche Chance, gerade in Krisenzeiten. Wenn Männer befürchten, eine aussichtslose Kandidatur könnte ihrem Ansehen Schaden zufügen, ist das eine „Gelegenheit“ für uns Frauen.
Sie sind eine der beliebtesten Politikerinnen in Deutschland. Welche Rolle werden Sie künftig spielen?
Die Opposition ist auch eine Chance, konzeptionell und praktisch voranzukommen. Es ist aber schwierig, im Wechsel schon genau zu sagen, wo es hingehen wird. Ich bleibe im Bundestag. Bei meiner Arbeit werden außenpolitische Fragestellungen eine wichtige Rolle spielen; u.a. habe ich mich ja schon in Polen, Frankreich und Israel oder der Türkei sehr engagiert. Auf jeden Fall wird die durch das Amt der Bundestagspräsidentin auferlegte Zurücknahme geringer. Ich kann wieder klarer Position beziehen und mich stärker politisch einmischen. Darauf freue ich mich.
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