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Wenn Deutschland der Teufel holt

„Und was werden die Deutschen dazu sagen?“ Eine Ausstellung in der Staatsbiliothek Unter den Linden untersucht Thomas Manns „Doktor Faustus“ und präsentiert eine Menge hochinteressanter Dokumente  ■ Von Jörg Magenau

„Begann am Vormittag, Dr. Faustus zu schreiben“, notierte Thomas Mann am 23.5.1943 in kalifornischen Pacific Palisades in sein Tagebuch und unterstrich die Mitteilung ordentlich für die Nachwelt. Sorgfältig in roter Tinte hielt er die Vollendung des Werkes am 29.1.1947 fest: „Ich beendete den Roman.“ Die historische Bedeutung des Augenblicks, des Werks und seiner selbst stand fest, für kein anderes Werk hatte Mann soviel Kraft und Herzblut investiert wie für diesen gewaltigen Künstler-, Musik- und Deutschlandroman, in dessen Verlauf er auch eine Lungenkrebsoperation überstehen mußte.

Notizblätter, Briefe, Tagebücher, Manuskriptseiten und Quellenmaterial aus umfangreichen historischen, technologischen, musikwissenschaftlichen und theologischen Studien sind derzeit standesgemäß in einer Ausstellung in der würdevollen Säulenhalle der Staatsbibliothek Unter den Linden zu besichtigen – letztmalig, denn aus konservatorischen Gründen werden die kostbaren Originale in Zukunft nicht mehr ausgestellt werden. In verschiedenen Kapiteln geht die Ausstellung den autobiographischen Bezügen des Romans nach, untersucht die Parallelen der Hauptfigur Adrian Leverkühn mit der Biographie Nietzsches und arbeitet das Hauptthema Musik mit den Verbindungen zu Adorno, Schönberg und Beethoven heraus. Beethovens Klaviersonate opus 111, die im Roman eine wichtige Rolle spielt, liegt im Original aus, und Briefe und Notizen Adornos sind zu sehen, dessen Schrift Mann jedoch nur mit Mühe entziffern konnte. Wo Adorno vom „Eigengewicht“ der Akkorde in der Beethoven-Sonate schrieb, ist im Doktor Faustus vom „Fugengewicht“ die Rede. Was das aber sein soll, weiß nicht einmal der Teufel.

Manns Plan, einen Faust-Roman zu schreiben, läßt sich bis ins Jahr 1905 zurückverfolgen. Da hielt er die der Künstlerthematik des Frühwerks verpflichtete Ausgangsidee im Notizbuch fest: „,Novelle‘ oder zu ,Maja‘. Figur des syphilitischen Künstlers: als Dr. Faust und dem Teufel Verschriebener. Das Gift wirkt als Rausch, Stimulans, Inspiration; er darf in entzückter Begeisterung geniale, wunderbare Werke schaffen, der Teufel führt ihm die Hand. Schließlich aber ,holt ihn der Teufel‘: Paralyse.“ Während der Entstehungszeit, vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Deutschlands auf dem Weg in den Untergang, erhielt die alte Legende eine andere, zeitgeschichtliche Dimension: „Ein einsamer Denker und Forscher, ein Theologe und Philosoph in seiner Klause, der aus Verlangen nach Weltgenuß und Weltherrschaft seine Seele dem Teufel verschreibt – ist es nicht ganz der rechte Augenblick, Deutschland in diesem Bilde zu sehen, heute, wo Deutschland buchstäblich der Teufel holt?“ schrieb Mann in seinem Vortrag „Deutschland und die Deutschen“ 1945.

Zu sehen sind in der Ausstellung auch Filmaufnahmen der Amerikaner aus Buchenwald, als die Bevölkerung Weimars gezwungen wurde, das befreite Lager zu besichtigen: kopfschüttelnde Gestalten neben Leichenhaufen, ungläubige, leere Gesichter, die sich ein parfümiertes Tüchlein vor die Nase halten. Thomas Mann sah diese Bilder in der amerikanischen Wochenschau. Sein verzweifelter Kommentar, der darin gipfelt, daß die Deutschen in Fragen der Humanität in Zukunft nichts mehr zu sagen haben werden, ging in die Schlußpassagen des Faust-Romans ein. Dieses Werk in seiner ganzen Vielfalt darzustellen, bewältigt die Ausstellung souverän. Papiere in Vitrinen müssen nicht langweilig sein. Sie haben eine Menge zu erzählen, wenn man sie zu arrangieren weiß.

Ausstellung „Und was werden die Deutschen sagen?“ bis zum 28. November in der Staatsbiliothek Unter den Linden

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