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Schon mal mit den Türen geknallt

■ Am Ende der rot-grünen Verhandlungen loben beide Verhandlungsdelegationen die gute Gesprächsatmosphäre und die gefundenen Kompromisse. Möglich wurde das nur, weil die besonders strittigen Fragen vorab in kleinen Arbeitsgruppen durchgekaut wurden. Den eigentlichen Streit gab es auch nicht zwischen SPD und Bündnisgrünen, sondern innerhalb der Sozialdemokratie.

Nach den Koalitionsverhandlungen spielt sich immer das gleiche Ritual ab: Ein rot-grünes Paar, meistens Lafontaine und Trittin oder Schröder und Fischer, tritt vor die Medien, lobt die „gute Gesprächsatmosphäre“ und daß man „sehr weit gekommen“ ist, spricht von „guten Kompromissen“, räumt allenfalls mal ein, daß die Verhandlungen „sehr hart“ waren, aber nur um die „konstruktiven Ergebnisse“ und die „fairen Verhandlungen“ um so mehr preisen zu können. „Alles Verarschung“, sagt ein Verhandlungsteilnehmer der Grünen dazu.

Wirklich alles? Das nun auch wieder nicht. Schließlich können so viele Stimmen nicht irren, die mit aufrichtig klingender Verwunderung berichten, wie überwiegend freundschaftlich die Gespräche ablaufen. Aber damit ist vor allem die große Runde von 25 Teilnehmern gemeint, die auch als „Abnickungsrunde“ bezeichnet wird. Die Vorentscheidungen bereiten Arbeitsgruppen mit jeweils zwei Genossen und zwei Grünen vor, die sich in den betreffenden Fachgebieten besonders gut auskennen. Und wenn die nicht weiterkommen, entscheidet das „Kleeblatt“ Schröder, Lafontaine, Fischer, Trittin.

Als besonders „guten Kompromiß“ lobte das Verhandlungsquartett zu den Themen Justiz- und Innenpolitik, Otto Schily, Herta Däubler-Gmelin, Renate Künast und Kerstin Müller, die Ergebnisse zum Thema Staatsangehörigkeitsrecht. Kerstin Müller sprach von „Engelinnen und Engel“, die den Anstoß gegeben hätten. Doch was sich nach einer entspannten Verhandlungsrunde anhört, glich eher einer Quälerei. Der künftige Innenminister Otto Schily, heißt es seitens der Grünen, sei aufgetreten wie Innenminister Kanther höchstselbst. Seine Vorstellungen von Law-and-order-Politik hätten mit Sozialdemokratie nicht mehr viel gemein. Vielleicht, so wird gemutmaßt, meine Schily, seine Vergangenheit bei den Grünen, die er im Streit verlassen hatte, aufarbeiten zu müssen. Er habe den Eindruck vermittelt: Ihr jungen Hüpfer müßt erst mal die Erfahrung sammeln, die ich gewonnen habe. Auch zwischen Schily und Däubler-Gmelin habe die Chemie nicht gestimmt. Einmal soll die designierte Justizministerin an die grünen Frauen gerichtet gesagt haben: Kommt, das machen wir jetzt unter uns aus.

Hinterher wurde das Ergebnis zum Staatsangehörigkeitsrecht gelobt. Unter den Teppich gekehrt wurde: Die Verhandlungen zum Asylrecht beurteilen die Grünen als Fiasko. Symptomatisch für die Beziehungen zwischen Rot und Grün ist die Verhandlungsgruppe Innen- und Justizpolitik aber wohl nicht. Beide Seiten haben wenig aneinander auszusetzen. Bei der SPD gelten einige Unterhändler der Grünen als nicht besonders „belastbar“. Sie seien den Verhandlungen nervlich nicht immer gewachsen. Aber das ist wohl Anschauungssache. Die Justizexpertin Renate Künast hat zwar schon mal mit Türen geknallt. Allerdings, wie ein grüner Mitarbeiter versichert, nicht aus Verzweiflung, sondern aus taktischen Gründen.

Als irritierend empfinden die Sozialdemokraten das „Gewusel von Mitarbeitern“ bei den Grünen. Andere nennen sie auch „chaotisch“. Sobald über ein neues Thema geredet werde, würden die Grünen neue Berater hineinbitten. Das geben die Grünen zu, kritisieren aber im gleichen Atemzug SPD-Verhandlungsführer, die den Anschein erweckten, als ob sie alles wüßten, aber manchmal dann eben doch keine Ahnung hätten. Aber Lob überwiegt.

Ein Genosse lobt, daß in der grünen Verhandlungsgruppe deutlich mehr Frauen vertreten sind. „Die haben Themen einfach gefühlsmäßig besser drauf und argumentieren mehr aus ihrer eigenen Erfahrung heraus.“ Außerdem setzten sich die Grünen eher für Randgruppen ein. Bei der SPD dagegen sei immer noch der Betriebsrat des großen Industrieunternehmens das Maß aller Dinge.

Den Sozialdemokraten wird eine großzügige Beurteilung der Grünen aber auch leichtgemacht. Meistens setzen sie sich durch. Dazu trägt möglicherweise bei, daß die Grünen mit der klaren Erwartung in die Verhandlungen gehen, wer Koch und wer Kellner ist. Die Grünen entschuldigen die Verhandlungsergebnisse immer wieder mit dem Argument: „Das Verhältnis ist 6 zu 1.“ Und: „Die SPD hat die Wahlen gewonnen. Wir haben dagegen Stimmen verloren.“ Und so freuen sie sich schon über die Senkung des Spitzensteuersatzes auf 48,5 Prozent, weil Oskar Lafontaine ja schließlich 49 Prozent als Untergrenze ausgegeben hat.

Den eigentlichen Streit, sagt ein Grüner gebe es nicht zwischen SPD und Grünen, sondern innerhalb der SPD. Teils amüsiert, teils verärgert nehmen die Grünen den Richtungskampf zwischen Parteichef Oskar Lafontaine und dem künftigen Kanzler Gerhard Schröder zur Kenntnis. So komme es schon mal vor, daß eine mutmaßliche Einigung überraschend wieder einkassiert werde. Auch die SPD- Ministerpräsidenten würden gelegentlich ihr eigenes Süppchen kochen. Die Spannung zwischen Schröder und Lafontaine sei mit den Händen zu greifen, heißt es, wenngleich sich beide nicht offen widersprächen. Lafontaine gilt als der Wortführer. Er besteche durch totale Professionalität und sei immer perfekt vorbereitet. Schröder dagegen, sagt ein Grüner, „hat keine Papiere, keine Modelle, nichts“. Er wirke manchmal, als sei er vom Wahlkampf noch erschöpft. Von Politik für seine neue Mitte sei nicht viel zu spüren.

Am verläßlichsten hat aber Oskar Lafontaine selbst den Richtungsstreit mit Gerhard Schröder verdeutlicht. In einer Pressekonferenz antwortete er auf die Frage zur Mineralölsteuererhöhung : „Sie wissen ja, daß sich Ministerpräsident Schröder für sechs Pfennig ausgesprochen hat. Das haben wir eingebaut.“ Hört sich an, als habe Lafontaine vereint mit den Grünen den Fauxpas des künftigen Kanzlers mühsam ausgebügelt. Markus Franz, Bonn

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