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■ Die Verhaftung Pinochets und die spanische DoppelmoralKeine Freiräume für Diktatoren

Chiles Präsident Eduardo Frei traf den wunden Punkt: „Spanien hat nach vierzig Jahren Diktatur kein Gerichtsverfahren über Menschenrechtsverletzungen erlebt, wie es jetzt von uns verlangt wird.“ Deshalb verlangt Frei die Einstellung der Verfahren gegen Chiles Ex-Diktator Pinochet vor spanischen Gerichten.

Frei berührt ein Dilemma. Jedes Land, das nach langen Jahren der Diktatur den Übergang zur Demokratie ohne Blutvergießen über die Bühne brachte, hat seine Leichen im Keller. So auch Spanien. Während die Justiz in Madrid dieser Tage unermüdlich gegen die Verantwortlichen der Militärdiktaturen in Chile und Argentinien ermittelt, laufen die Verantwortlichen des heimischen Faschismus frei herum. Viele sind gar weiterhin in Amt und Würden. Das bekannteste Beispiel ist der ehemalige Informationsminister des Franco-Regimes, Manuel Fraga, der heute Regierungschef im nordspanischen Galicien ist.

Doch eine gnadenlose Verfolgung der eigenen Schergen scheint in Spanien auch heute, nach 22 Jahren Demokratie, mit Rücksicht auf den inneren Frieden nicht möglich. So wird zwar mittlerweile der schmutzige Krieg unter der sozialistischen Regierung in den achtziger Jahren verhandelt, doch vergleichbare Verbrechen der Diktatur bleiben weiterhin ungesühnt. Der Pakt aller politischen Kräfte aus den Jahren des Übergangs von der Diktatur zur konstitutionellen Monarchie ist stärker als Gesetze.

Chiles Diktator Pinochet diktierte seine eigene Straffreiheit und legte sie der jungen Demokratie als unbequemes Geschenk mit in die Wiege. In Argentinien sieht es mit dem Gesetz des „Schlußstrichs“ nicht viel anders aus. Die Angehörigen der Verschwundenen und Gefolterten protestierten dagegen. Ändern konnten sie es nicht. Ein Blick auf die Straßen von Santiago de Chile, wo sich seit Tagen die Demonstrationen der Befürworter und der Gegner der Verhaftung Pinochets ablösen, zeigt warum. Es gibt gesellschaftliche Risse, die nicht so schnell verheilen.

Eduardo Frei hat also recht? In gewisser Weise ja. Allerdings spricht sein Argument nicht gegen die Strafverfolgung von Diktatoren, wann und wo immer das möglich ist. Sondern für internationale Institutionen, die Menschenrechtsverletzungen auch bestrafen können. Wer dann von seiner Regierung nicht ausgeliefert wird, kann sich zwar aus der Verantwortung stehlen, aber er bliebe eingesperrt in seinem Land.

Solange solche internationalen Ermittlungen Zukunftsmusik sind, bleibt den Opfern nur eines: die Hoffnung auf couragierte Anwälte und Richter, auch wenn diese aus einem Land kommen, das selbst viel Dreck unter den Teppich gekehrt hat. Reiner Wandler

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