■ Grüne: Volmer wird Staatsminister, Beck Integrationsbeauftragte: Bündnisgrüne Quotenarithmetik
Das Werk ist vollbracht. Alle Flügel und Lobbyistengruppen von Bündnis 90/Die Grünen sind befriedet. Die Partei ist bereit zum Regieren. Die Ernennungen Ludger Volmers zum Staatsminister im Außenministerium und Marie-Luise Beck zur Integrationsbeauftragten sind symptomatisch für den Verlauf der Koalitionsverhandlungen der Grünen. Alles wurde umschifft, was das rot-grüne Regierungsprojekt hätte gefährden können, alles vermieden, was einen parteiinternen Hauskrach hätte heraufbeschwören können.
Die überraschende Ernennung Marieluise Becks zur Integrationsbeauftragten läßt nur einen Schluß zu: Hier ging es nicht um Ausländer-, sondern in erster Linie um Frauenpolitik. Denn Integrations- und Ausländerpolitik gehörten bislang nicht zu den Arbeitsschwerpunkten Becks, die seit 1983 im Bundestag sitzt. Sicherlich, sie hat sich für bosnische Flüchtlinge engagiert. Aber in der migrationspolitischen Diskussion ist sie ein Nobody.
In einem sensiblen Feld wie der Ausländer- und Einwanderungspolitik mögen neue Besen besser als die alten kehren. Das zumindest scheint die Auffassung der Fraktion der Grünen zu sein. Denn anders ist es nicht zu erklären, daß der bis vor zwei Tagen als aussichtsreicher Kandidat gehandelte migrationspolitische Experte der Bündnisgrünen, Cem Özdemir, nicht berücksichtigt wurde. Oder seine Mitkonkurrentin um den Posten, die Europaabgeordnete und Asylexpertin Claudia Roth, die dem linken Flügel der Partei zugerechnet wird.
Nein, fachliche Argumente waren bei der Nominierung Marieluise Becks nicht ausschlaggebend. Vielmehr bündnisgrüne Arithmetik: Hier eine linke Frau (Claudia Roth), dort ein Realo-Mann (Cem Özdemir) – das ergibt eine Realo-Frau (Marieluise Beck). Das ist gut für den Parteifrieden, aber schlecht für die designierte Integrationsbeauftragte. Denn mit dieser Personalentscheidung haben die Bündnisgrünen klar gemacht, was Ausländerpolitik für sie jenseits ihrer Sonntagsreden ist: ein Verschiebebahnhof. Damit hat man nicht nur Cem Özdemir geopfert und versäumt, ein deutliches, integratives Zeichen in Richtung Neubürger zu setzen. Die doppelte Staatsbürgerschaft plus Cem Özedemir als Integrationsbeauftragten im Kabinettsrang – das wäre ein Signal gewesen. Diese Quotenentscheidung bedeutet, daß auch in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren kein Repräsentant nichtdeutscher Herkunft in der Exekutive sitzen wird.
Ein kleiner Trost bleibt jenen, die an den Integrationsbeauftragten Özdemir große Hoffnungen auf ein „neues Deutschland“ verknüpften. Zwischen dem Wahlrecht der Frauen und ihrer Beteiligung an der politischen Macht vergingen mehr als fünfzig Jahre.
Ludger Volmer, einer der Frontmänner der linken Grünen, wird Staatsminister im Auswärtigen Amt. Damit bleibt das Links-rechts-Gefüge gewahrt. Machttaktisch ist dies für die Grünen ein geschickter Schachzug. So soll gleich von Beginn an verhindert werden, daß die linken Bündnisgrünen in Fraktion und Partei Außenminister Fischer in die (Militär-)Parade fahren.
Volmer als Staatsminister, der Fischer den Rücken freihalten wird – dies symbolisiert trefflich, daß die „linken Grünen“ mittlerweile zu einem Label ohne präzisen Inhalt geworden sind. Der Rechts-links-Gegensatz bei den Grünen hat sich weitgehend überlebt. Man wird ihn freilich noch eine Weile pflegen – schon aus Gründen der Tradition und weil er in komplizierten Zeiten tröstliche Übersichtlichkeit verspricht. Das ändert nichts daran, daß die Frontstellung Fundi/Realo gestern endgültig zur Parteifolklore geworden ist. Das heißt nicht, daß man dieses Stück nicht zu passender Gelegenheit immer mal wieder aufführen wird.
Ob Rot-Grün die Republik nachhaltig verändern wird, steht in den Sternen. Sicher ist allerdings schon heute, daß die Beteiligung an der Macht die Grünen fundamental umkrempeln wird. Stefan Reinecke/Eberhard Seidel-Pielen
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