: Ausrasten mit Erfolg
■ Seit April haben Jugendliche das Theaterstück „Fremd wirst du nicht geboren“ geprobt. Nun wurde und wird es aufgeführt
Im Kattenturmer Kulturzentrum KATT wurde am Mittwoch ein Theaterstück aufgeführt, das sich auf ausdrücklichen Wunsch der Agierenden mit dem Thema Rassismus befaßte. Unter der Ägide der Schauspielerin Claudia Scholl und zweier weiterer vom Bremer Verein für Jugendhilfe und soziale Arbeit hierzu bestallter Erwachsener wollten die Jugendlichen zeigen, „wie das denn so ist, als Ausländer.“
In dem Stück „Fremd wirst du nicht geboren“, das nach und nach während der Proben entwickelt wurde, erzählen die Jugendlichen von familiären Verhältnissen, die mit Vokabeln wie beengt, bedrückend oder auch ärmlich schon ganz gut beschrieben sind. Außerdem Thema sind die Konsequenzen der nicht selbst getroffenen Entscheidung, nach Deutschland zu kommen, die Schwierigkeiten, irgendwie anders als der Rest zu sein – allesamt Dinge, die Probleme machen. Der Lösungsvorschlag lautete, sich positiv auf das Anderssein zu beziehen, selbst etwas Sinnvolles zu tun, sich mit anderen zusammenzutun, und ist also eine Wendung ins Positive.
Musik ist hier der große Kommunikator. Die Jugendlichen stellen eine Truppe namens „Streetstars“ zusammen, in der alle das zum Besten geben, was sie eben gerade können. Singen, Tanzen, Rappen – jede/r hat etwas beizusteuern. Der Reim auf den Titel geht folgerichtig: „Tu' was, dann bist du nicht verloren.“
Die Entsprechung in realiter, so könnte vermutet werden, wäre ebenjenes gemeinsame Theater-Projekt. Daß dieses nun vom erwähnten Verein betrieben, durch ABM-Maßnahmen flankiert und unter kompetenter Leitung realisiert wurde, ist Indiz für wie Resultat einer Wirklichkeit, die eben auch andere Reaktionen auf Verhältnisse produziert. Für zwei Jugendliche vom Bremer Verein für Jugendhilfe und soziale Arbeit war die Teilnahme an dem integrativen Projekt nämlich eher so eine Art Pflichtveranstaltung für soziales Training. Die anderen wurden über Annoncen und Kontakte zum Goethe-Theater für die Angelegenheit gewonnen.
Mit der in sich bisweilen recht inkonsistenten Gruppe hatte Claudia Scholl ihre Mühe. Froh war sie am Mittwoch, es nach allen Schwierigkeiten schließlich geschafft zu haben. „Und erschöpft“ war sie auch. Seit April arbeitete Claudia Scholl mit den Jugendlichen. Ein paar kamen erst Monate später dazu, einige sprangen unterwegs ab, wie der vierzehnjährige Oskar, dem die Geschichte durchaus Spaß gemacht hatte. „Aber irgendwann hatte ich keine Lust mehr, immer zu proben.“ Sebastian (16), am Mittwoch nicht nur Premierenteilnehmer, sondern auch Geburtstagskind, meinte, er würde auch weitermachen, wenn Claudia denn nur nicht so oft ausrasten würde, was diese umständehalber allerdings für unvermeidbar hielt.
Und nun? Eine Aufführung erlebt das Stück noch, heute abend, dann ist auch das Geschichte. Nur als vage Option stehen Wiederholungen im Dezember auf dem Programm. Eine Menge Arbeit, und es hätte noch mehr sein müssen, um auch noch an Kleinigkeiten feilen zu können, wie Claudia meint. Vielleicht, hofft sie, werden die drei ABM-Stellen noch verlängert. Auch ein paar der Jugendlichen würden gern weitermachen. Claudia Scholl hat zumindest Einblicke in die Lebensumstände der Jugendlichen gewonnen. Schön war es nicht, was sie da kennengelernt hat und wovon die Jugendlichen einige Lieder singen konnten. Ob da der reformistische Gedanke, die derart gebeutelten jungen Menschen sollten sich lieber eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung suchen, in einem Gemeinwesen Abhilfe schafft, das so unschöne ideologische Erfindungen wie „Ausländerkriminalität“ hervorgebracht hat, darf indes getrost in Zweifel gezogen werden.
Andreas Schnell
Aufführung heute um 19 Uhr im Kulturzentrum KATT an der Theodor-Billroth-Straße 5-7
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