: Im Panzer liegen ein paar verkohlte Knochen
■ Szenen aus dem vergessenen Bürgerkrieg in Guinea-Bissau: Die rebellierende Armee kämpft wieder gegen Eingreiftruppen aus Senegal, zu Zehntausenden fliehen die Bewohner der Hauptstadt
Bissau (taz) – „Das Volk ist müde“, sagt der alte Mann in seinem zerrissenen Unterhemd, während er auf den Strom starrt. „Schauen Sie, wie dünn ich bin! Seit vier Monaten müssen wir hier in Farim unser weniges Essen mit den Flüchtlingen teilen.“ Dann steht Alaghie Touré, der sein Alter auf 65 oder 70 schätzt, auf und wird deutlich, als wolle er denen auf dem anderen Flußufer die Meinung zurufen: „Ich bin Analphabet, aber Nino soll ja nicht glauben, daß ich sein Spiel nicht durchschaue. Der Präsident und seine Leute betrügen das Volk seit Jahren – und jetzt wollen sie uns auch noch an die Franzosen verkaufen.“
Das Volk in Guinea-Bissau hat sich abgewandt von seinem Präsidenten „Nino“ Vieira. Seit Juni ist das Land im Krieg: Erst Kämpfe zwischen der meuternden Armee und Interventionstruppen aus Senegal und die Flucht von Hunderttausenden aus der Hauptstadt Bissau. Dann Waffenstillstand, und jetzt wieder Gefechte. Kommen nun noch mehr Flüchtlinge nach Farim, wo die italienischen Padres jetzt schon nicht wissen, wo sie genug Reis auftreiben sollen?
Sie kommen. Das kleine Nest Safim, 30 Kilometer vor der Hauptstadt, ist voll.
Massenflucht mit Matratzen auf dem Kopf
Der ganze Ort ist gefüllt mit Menschen aus Bissau, die verzweifelt eine Mitfahrgelegenheit zu Verwandten auf dem Land suchen. Und nicht nur der Ort: Die ganzen 30 Kilometer bis nach Bissau sind voller Menschen mit Schubkarren, Tieren und Matratzen auf dem Kopf, Kassettenradios im Arm. Viele fliehen zum zweiten Mal – sie waren gerade erst mit der Hoffnung auf Frieden nach Bissau zurückgekehrt. Innerhalb weniger Stunden verlassen über 100.000 Menschen bei glühenden 38 Grad die umkämpfte Hauptstadt.
Die Posten der rebellierenden Armee, die 90 Prozent des Landes kontrolliert, auf dem Weg nach Bissau sind abenteuerlich: Einige im T-Shirt, andere in zerrissenen Uniformen mit Gewehren, die vermutlich noch aus dem Befreiungskampf gegen die portugiesische Kolonialmacht in den 70er Jahren stammen. Auf der Straße zum Flughafen demonstrieren Frauen in weißen T-Shirts für den Frieden. Auf der Motorhaube eines Jeeps steht ein großgewachsener, schlanker, leicht ergrauter Mittfünfziger in kurzärmeligem Tarnhemd ohne Rangabzeichen. Das ist Ansumane Mané, ehemaliger Generalstabschef und Führer der rebellierenden Armee. Zehn Minuten lang wartet Mane geduldig, bis die Frauen ihn reden lassen. „Wir respektieren den Waffenstillstand; wir wollen nur, daß wieder Gesetz und Ordnung herrschen“, sagt er.
Mané ist ein ungewöhnlicher Rebellenführer. Als am Vortag seine Truppen anderthalb Kilometer vorrückten, trat er ans Mikrofon des Juntaradios und pfiff sie wieder zurück. Er will auch angeblich nicht an die Macht: Wer künftig Guinea-Bissau regiert, sagt er, soll das gewählte Parlament entscheiden. Nur müsse der derzeitige Präsident Vieira bestraft werden, weil er verfassungswidrig ausländische Truppen ins Land geholt hat.
Normalerweise leben in der Stadt Bissau 400.000 Menschen. In diesen Tagen sind die großen Straßen verwaist, viele Häuser verrammelt, der Marktplatz zählt kaum Verkäufer und noch weniger Kunden. Geblieben sind nur noch 150 Soldaten aus Guinea und 3.000 aus Senegal. Überall haben sie Straßensperren errichtet. Mit ihnen ist das kleine Guinea-Bissau endgültig in den französischen Einflußbereich in Westafrika eingetreten. Das einzig schmucke Gebäude in Bissau ist ein neues französisches Kulturzentrum, geschützt durch Sandsäcke und französische Soldaten in kurzen Hosen.
Am nächsten Morgen kommt Leben in die Geisterstadt. Einige Jugendliche treffen sich am Hafen mit weißen Stirnbändern und Transparenten. „Wir wollen Frieden! Nieder mit den Kriegstreibern!“ skandieren sie und ziehen zum Präsidentenpalast. Präsident Vieira schickt seinen Premierminister Carlos Correia vor, der nur dann Beifall erhält, als er sagt, er sei auch für den Frieden.
Unzufrieden ziehen die Demonstranten weiter. An einem Kontrollpunkt rufen sie „Senegalesen raus!“. Dann kommen sie zur Frontlinie – und die Rebellen legen ihre Gewehre und Raketenwerfer beiseite, um wilde Umarmungen und Freudentaumel zuzulassen. Einige Demonstranten klettern auf einen zerschossenen senegalesischen Panzer, ein Rebell steigt hinein und fördert ein paar verkohlte Knochen zutage. Mit denen ziehen die Jugendlichen als makabre Kriegssouvenirs von dannen. Jan Lerch
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