: Der Erschrecker vom Dienst
■ Dieter Gröhling verdient sein Geld mit gezielten, aber wohldosierten Gemeinheiten. Der studierte Feinmechaniker arbeitet als hauptberuflicher Erschrecker im Dunkel des Berliner Gruselkabinetts
Er tut das, was viele Leute machen. Allerdings viel offener. Dieter Gröhling ist gemein zu anderen Menschen – in wohldosierten Portionen. ZahnärztInnen müssen vorgeben, das Wohl ihrer PatientInnen im Auge zu haben, während sie mit ihrem Bohrer nach der Wurzel des Schmerzes fahnden und ihn dabei manchmal noch vergrößern. JournalistInnen können suggerieren, Unrecht aufdecken zu wollen, und haben doch oft Spaß daran, im Dreck zu wühlen.
Solche Probleme hat der 29jährige Gröhling nicht. Er verdient mit den Fiesheiten des Lebens seinen Lohn – offiziell und sozialversichert. Acht Stunden pro Tag versteckt sich Dieter Gröhling im Dunkeln. Seine bevorzugten Aufenthaltsorte sind uralte, unkrautüberwucherte Gräber, deren Marmordeckel von unheimlicher Hand zur Seite geschoben wurden, um den Untoten ihren Aufstieg aus dem Hades zu gestatten.
Kommt ein ahnungsloses Opfer vorbei, springt der Unhold aus wallenden Nebelschwaden hervor. Seine bleiche Totenmaske grinst hämisch durch die Nacht, dazu faucht Gröhling ganz furchterregend. Viele BesucherInnen des Berliner Gruselkabinetts machen einen Satz zur Seite, kreischen auf und flüchten, denn damit haben sie nicht gerechnet.
Dieter Gröhling arbeitet in dem umfunktionierten Luftschutzbunker an der Schöneberger Straße als hauptberuflicher Erschrecker. Sieben Kollegen stehen ihm zur Seite – auf Teilzeitbasis. „Es macht Spaß“, ein Fiesling zu sein, sagt Gröhling. Auch im Alltag habe er Freude daran, seine Zeitgenossen hochzunehmen. Beispiele freilich mag er nicht nennen.
Die 2.200 Mark brutto, die der Erschrecker monatlich bekommt, sind knappes und hartverdientes Geld. Das mußte Gröhling spätestens erfahren, nachdem er drei Wochen im Bunker gearbeitet hatte. Ein junger, durchtrainierter Mann reagierte auf seine Art, landete einen gezielten Tritt in die Totenmaske – und Gröhling fand sich auf dem Boden wieder. Seitdem weiß er: Gemeinheit setzt Übersicht und Einfühlungsvermögen voraus, soll sie nicht nach hinten losgehen.
„Jetzt achte ich auf Abstand“, betont der furchterregende Angestellte im schwarzen Umhang. Gruppen von Halbwüchsigen faucht er aus gebührender Distanz an. Bei Omas mit kleinen Enkeln schaltet er einen Gang herunter, um sie nicht völlig durcheinander zu bringen. Ein besonderer Spaß sind ihm pubertierende Mädchen: „Die kreischen ja immer.“ Dann hastet Gröhling von einem Auftritt zum nächsten, um seine Opfer mehrmals in verschiedenen Räumen des Bunkers zu erwischen.
Der studierte Feinmechaniker hätte niemals gedacht, daß er einmal einen derartig abseitigen Job annehmen würde. Doch nach seinem Studium fand er keine Stelle und bewarb sich schließlich auf eine Anzeige des Gruselkabinetts. Überhaupt bestehe die komplette Erschreckerkombo aus „studierten Leuten“, wie Chefin Marlit Friedland erklärt. Um Gemeinheiten wohldosiert an die Leute zu bringen, sei eben eine gewisse Intelligenz vonnöten. „Unsere Angestellten müssen alles draufhaben – von der weichen Rille bis zur harten Linie“, so Friedland. Hannes Koch
Das Gruselkabinett sucht weitere Teilzeit-Erschrecker, Infos unter Tel.: 26555546
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen