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Lücken füllen auf der Überbaustelle

Das Bauhaus in Dessau untersucht in „Zeitzeichen Baustelle“ Realität, Inszenierung und Metaphorik eines abseitigen Ortes. Staat und Kapital erscheinen mit kulturhistorischem Sicherheitsabstand nur unscharf. Dafür leuchten Dynamik und Leistungsfreude  ■ Von Sebastian Weber

Am Ende zündeten die Arbeiter die Baustelle an, wenigstens in Ken Loachs Film „Riff Raff“: Wunschbilder eines Linksradikalen, der sich die Auflehnung der lebenden Arbeit gegen ihre kapitalistische Verwertung ausmalt? Vielleicht. Hierzulande hat so etwas jedenfalls Seltenheitswert. Auch am Bauhaus in Dessau, wo gerade eine Ausstellung zum Thema „Zeitzeichen Baustelle“ läuft, beachtet man die Einhaltung jenes kulturtheoretischen Sicherheitsabstands, der Staat und Kapital immer etwas unscharf erscheinen läßt. Am besten, man fängt erst gar nicht an, von so etwas zu reden! Eine Devise, die auch in dem die Ausstellung begleitenden Buch „Zeitzeichen Baustelle. Realität, Inszenierung und Metaphorik eines abseitigen Ortes“ von den meisten Autoren ganz selbstverständlich beherzigt wird.

Was den Herausgeber dieses Sammelbands, Franz Pröfener, von dem auch die Idee zur Ausstellung stammt, am Thema Baustelle interessiert, beschreibt er in der Einleitung unter dem flotten Titel „Flirting with disaster“. Etwas viel Aufhebens macht er um die ebenso richtige wie unverfänglich bleibende Beobachtung, daß die großen Baustellen der letzten Jahre, genauer gesagt: bestimmte Bilder von ihnen, auf symbolischer Ebene dazu dienten, Rhetorik und Image solcher Stellenmarkttugenden wie Dynamik, Leistungswillen, Flexibilität aufzufrischen: „Mit der Wende sind die Baustellen wieder hoffähig geworden.“

Eine Ausstellung, die auf die „Symbolgegenwart der Baustelle“ reagiert, hat es vor allem mit Bildern zu tun, die sie kommentiert und befragt. Entscheidend für ihr Gelingen ist, ob sie es schafft, eine Spannung zu dem herzustellen, was zwar zu ihrem Thema gehört, aber gleichzeitig draußen bleiben muß – das tatsächliche Baustellengeschehen, Menschen bei einer gefährlichen, schlecht bezahlten Arbeit. Ein paar echte Arbeiter kommen in der Ausstellung sogar vor: auf Video, in einem Fernsehfilm. Die Autoren, Dorothee Wenner und Kornel Miglos, porträtieren eine Gruppe polnischer Bauleute, die auf der Großbaustelle am Potsdamer Platz im Einsatz sind; einer von ihnen nennt diese Überbaustelle, als die sie ja oft genug präsentiert wurde, „das größte Arbeitslager Europas“. Ein Minderheitenvotum, das nicht weiter auffällt: Weitaus mehr Raum geben sowohl die Ausstellung (mit Schautafeln zur Stadtbauentwicklung am Beispiel Dessau und Mexico Stadt, Vitrinen mit Fotos, Zeitungsausschnitten und anderen Fundsachen, Videos und nicht zuletzt ein paar gut getarnte künstlerische Arbeiten, etwa von Raimund Kummer) als auch Pröfeners Lesebuch solchen Positionen, die eine, sagen wir: zivilere Ansicht des Themas kultivieren. Als ob man fürchtete, andernfalls sein kulturelles Kapital zu verspielen. Die Zeiten des Proletkults sind doch nun wirklich vorüber.

Trotz einzelner Lichtblicke: „Zeitzeichen Baustelle“ bleibt bestimmt von einem reibungslosen Nebeneinander. Bestätigt wird so die schon etwas ältere Erkenntnis, daß man recht unterschiedliche Ansichten und Darstellungen eines Thema versammeln kann, ohne daß das Konfrontationen oder sogar eine wirklich zwingende Problemstellung hervorrufen müßte. Eine Problemstellung also, die die vorherrschenden Zuschauerperspektiven verstellt, unterminiert und zum Scheitern verurteilt.

Erfolg- und das heißt: lehrreicher war in dieser Hinsicht vor kurzem die Berliner Ausstellung „Baustop, randstadt“ in den Räumen des NGBK. Auch hier gab es Schautafeln, Fotos, Texte, Diagramme und Videos, nur wurde bei der Präsentation des Materials der kulturhistorische Sicherheitsabstand gezielt verletzt. Daß das wenigstens ein bißchen weh tut, kann man ganz gut an der eigenen ersten Reaktion (die fast immer die dümmste ist) beobachten: etwa in Gestalt der Schutzbehauptung, man sei bereits informiert über die Ausrufung „gefährlicher Orte“ und „Ghettos“ oder die Lage illegalisierter Migrantinnen – und daß eine ausgesprochen politische Ausstellung wie diese nur Leute anspricht, die eh schon überzeugt sind. Was der Ausstellung tatsächlich gelang, hat dagegen mit der Propagierung und Bestätigung von Überzeugungen wenig, mit der Erprobung des sozialen Wissens einer Stadt (als Topographie von Spannungsgebieten) sehr viel zu tun. Toll, wenn es eine Ausstellung fertigbringt, dieses Wissen in actu, das heißt in heterogenen Formen seiner kollektiven und individuellen Produktion und Aneignung darzustellen. Und ein Riesenirrtum zu glauben, es gäbe für dieses Wissen keinen besseren Platz als Bücher.

Was „Zeitzeichen Baustelle“ als Buch betrifft, so zeigt schon das Umschlagbild: Am Potsdamer Platz kommt kaum einer der Beiträge vorbei. „Der symbolischen Kraft einer Baustelle dieser Größenordnung kann man sich nur schwer entziehen“, konzediert Jan Robert Bloch. Wer wie er bei aller Faszination auf ein bißchen Kritik nicht verzichten mag, macht sich die Sache aber doch unnötig schwer, indem er für seine Betrachtungen ausgerechnet so einen bundespräsidentenmäßigen Titel wie „Die Baustelle als Werkstatt möglicher Heimat“ wählt. Überhaupt fällt auf: Den kulturtheoretisch entlasteten Blick stellt das Thema Baustelle auf eine harte Probe. Es verschlägt ihn in ungeschütztes Gelände, wo – und das ist schon erfreulich – gebildete Platitüden und metaphorische Veredelungsversuche im Nu als solche zu erkennen sind. Etwa bei der aufsatzlangen Mitteilung, daß, bitte festhalten, auch der Cyberspace eine Baustelle ist – wie ja eigentlich alles in unserer schnellebigen Zeit.

Neben Texten, die, ob gewollt oder nicht, die offiziösen Baustellen- und Standortglobalisierungs- und Zukunftsmythologeme bedienen, enthält Pröfeners Lesebuch auch einige Beiträge, die den kulturhistorischen Spielraum im Umfeld der Baustelle etwas eigensinniger zu nutzen wissen. Gut durchgedreht, aber auf verlorenem Posten, ein Text von Stephen Kovacs: „Stadt-Void, Bau-Zone, Zeit- Loch“. Apropos Leere, Löcher, Lücken: Sie sind es, um die, nicht nur in diesem Fall, die avancierteren Texte des Buchs kreisen. Eine Runde um die vergänglichen Abbaustellen mit ewigem Hipstatus von Gordon Matta-Clark, Michael Heizer, Robert Smithson dreht Kai Vöcklers Essay „Umgekehrte Ruinen“. Lapidar heißt es dort: „Die Baustelle spiegelt sich im Abriß.“ Und Wolfgang Kil sinnt den seltener werdenden Löchern im Stadtbild Berlins nach: „Wo bis vor kurzem noch Stadtlandschaft war, mit unscharfen Dimensionen und manchmal abenteuerliche Tiefe, kehren nun die makellosen Korridorstraßen zurück. Die Stadt schließt sich wieder, wendet sich nach innen und zieht die Aufmerksamkeit auf Augenhöhe herab. Sie zivilisiert die Neugier, und sie diszipliniert den Blick.“ Vor zuviel Perfektion braucht man aber bei dieser Architektur trotzdem keine Angst zu haben; schließlich handelt es sich doch nur um Waren, bestimmt zum schnellen Verbrauch.

„Zeitzeichen Baustelle. Die Symbolgegenwart eines abseitigen Ortes“. Bis 6.12., Bauhaus Dessau

Franz Pröfener, „Zeitzeichen Baustelle. Realität, Inszenierung und Metaphorik eines abseitigen Ortes“. Edition Bauhaus, Band 2, Campus Verlag, Frankfurt am Main, New York 1998, 58 DM

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