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„Achtung, hier ist das Berliner Vox-Haus“

Heute vor 75 Jahren hatte in Berlin der erste deutsche Rundfunksender Premiere. Auch wenn in den ersten Tagen niemand zuhörte, wurde das Radio schnell zum Massenmedium. Heute konkurrieren allein in Berlin 28 Sender um die Hörergunst. Nun dampft das Radio ins Internet  ■ Von Manuela Thieme

Gongschlag 20 Uhr. Die kraftvolle Männerstimme klingt gerührt und feierlich: „Achtung, Achtung, hier ist das Berliner Vox- Haus...“ Mit dieser Ansage startete vor 75 Jahren das erste deutsche Rundfunkprogramm. Vorher hatte es schon vereinzelt Übertragungen gegeben, ab jenem 29. Oktober 1923 wurde dann täglich gesendet.

Auf die kurze Begrüßung folgte damals eine Cello-Sonate des österreichischen Komponisten Fritz Kreisler. Zuhörer gab es bei den ersten Sendungen aber noch nicht, denn Gebührenzahler Nummer eins meldet sich erst zwei Tage später im Reichspostministerium an.

Für die Akademie der Künste ist das kein Grund, jene erste Vox- Sendestunde nicht dennoch zu verklären. Bei einer Feier zum Gründungsjubiläum lieferte der klassische Beginn jetzt wieder einmal Stoff für die beliebte Legende vom Radio als hehrem Kulturbetrieb. Präsident György Konrad beklagte den Niveauverlust im Rundfunk der Gegenwart, schimpfte über das „viele Geschwafel“ und wünschte sich mehr „Schuld und Sühne“-Lesungen. Auch Deutschlandradio-Intendant Ernst Elitz monierte die Dominanz von DJs, „die mit launigen Sprüchen CDs ansagen“, und witzelte über Moderatoren, „die rund um die Uhr plappern“.

Vor 75 Jahren gab man sich hingegen noch richtig Mühe, Programmambitionen und Publikumsgunst kompatibel zu machen. Hans Bredow, der wichtigste Rundfunkaktivist der Weimarer Republik, legte schon beim Vox- Sendestart großen Wert auf Bürgernähe: „Der Rundfunk wird für die Allgemeinheit freigegeben, zur Erholung und Abwechslung. Es soll gelingen, allen Schichten künstlerisch und geistig hochstehende Vorträge aller Art zu Gehör zu bringen.“ Bredow selbst betreute eine Vortragsserie, deren Titel von „Französischer Literaturgeschichte“, über „Hygiene im Kindesalter“, „Briefmarken“, „Hühnerzucht“ bis zur Vorlesung über „Internationale Gauner“ reichten.

Der Sende-Mix aus Bildungskursen, Unterhaltung und aktuellen Berichten wurde schnell zum Volksvergnügen. Schon 1926 lauschten über eine Million Gebührenzahler dem Rauschen im Äther. Das Radio hatte den Durchbruch zum Massenmedium geschafft.

Doch die erfolgreichen Jahre unbefangener Aufklärung gingen schnell vorbei. Die Nazis machten den Äther zu einem einzigen Politappell, auf den Empfang von Auslandssendern stand ab 1941 die Todesstrafe. Auch nach dem Krieg blieben die nun wie die Stadt in Ost und West geteilten Funkhäuser vorwiegend ideologische Kampfzentralen, andererseits sind jene Jahre auch die Zeit der großen Liveübertragungen und Reportagen aus Sportstadien, Parlamenten und Gerichtssälen.

Dann brach die TV-Ära an. Hans Abich, Ex-Programmdirektor der ARD, beschrieb auf der Akademiefeier die Sinnkrise der Rundfunkmacher treffend mit dem melancholischen Satz: „Kein Zweifel, ohne das Fernsehen hat das Radio anders geklungen.“

Die nächste Erschütterung folgte Ende der 80er Jahre mit der Zulassung der Privaten. Der Quotenrausch begann. Allein in Berlin konkurrieren inzwischen 28 Sender um die Hörer. Das Angebot reicht von Uniradio, Radio Multikulti, Jazzradio, Jugendradio Fritz, Seniorenfunk Spreeradio, dem Nachrichtensender Inforadio bis hin zu diversen Kultur- und Familienradios – Frequenzflanierer treffen jedenfalls weit mehr an, als das von öffentlich-rechtlichen Mahnern kritisierte Hitparaden- Einerlei.

Während die Freunde des Traditionsradios noch immer mit dem dualen System hadern, ist bereits die nächste Zäsur im Gange. Das Radio strebt ganz auf der Höhe der Zeit ins Internet. Ganze Sendungen werden künftig abrufbar sein, ohne daß man das Programm verfolgen muß.

Nach 75 Jahren ist der Rundfunk lange nicht am Ende. Insofern ist es auch kein Anachronismus, daß es neuerdings ausgerechnet am Potsdamer Platz eine Vox- Straße gibt. Die legendären Funkstudios, in denen 1923 alles begann, standen seinerzeit in der Potsdamer Straße.

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