: Kein Geld für jüdische Kultur online
■ Vor drei Jahren wurde der Informationsdienst "Galil" gegründet. Aber Sponsoren und Werbekunden fehlen, der finanzielle Ruin steht bevor
Ob Orthodoxe, Konservative, Reformierte, Gelehrte, Rabbiner oder solche, die sich nur ab und zu bei einer großen Feier durch ihre Kippas outen: Sie stören uns nicht und dürfen ihre Bräuche, Gesetze und Zeremonien auch hierzulande einhalten und pflegen. Sie dürfen an Rosch Ha-Schana Krümel ins Wasser werfen, Gläser bei Hochzeiten zertreten oder Steine auf ein Grab legen. Solche Dinge geben der deutschen Kultur den multikulturellen Touch. Und Klezmer- Musik klingt auch nicht schlecht, wenn man in Stimmung ist. Und doch gehört diese ganze Folklore in die eigene Gemeinde, wohin auch sonst? Aber nun auch online?
Das Internet, so demokratisch und anarchistisch es ist, haben verschiedene Minderheiten, Gruppen und Gruppierungen schon längst als Kommunikationsinstrument für sich entdeckt. Trotzdem spuckten die Suchmaschinen, mit dem Begriff „Judentum“ gefüttert, in Deutschland jahrelang vor allem Adressen von neonazistischen Organisationen aus. Doch dann tauchte haGalil, ein jüdischer Online-Dienst aus Deutschland, auf den Bildschirmen auf.
Das Wort haGalil ist hebräisch und heißt übersetzt „Galiläa“. Die Website ist unter der Adresse www.hagalil.com seit drei Jahren abrufbar. Die Idee der beiden Müncher Gründer David und Eva war so einfach wie idealistisch: das wachsende Interesse an jüdischem Leben in aller Welt, jüdischer Kultur und dem Land Israel zu wecken und zu vertiefen. Beide wollten zeigen, daß es auch im heutigen Deutschland jüdisches Leben gibt und geben kann. Und das ist locker, intelligent, modern – eben ein anderes Gesicht des deutsches Judentums. Und: „Wir wollten falschen Vorstellungen entgegenwirken und Vorurteile über das Judentum abbauen“, sagt David.
Die Voraussetzungen dafür schienen gut. Der neue Dienst wurde am Anfang begeistert begrüßt. „Diese Stille aus Deutschland hat uns schon lange beunruhigt“, schrieb eine Surferin aus Amerika. Dadurch bestand auch die berechtigte Hoffnung, die notwendigen finanziellen Mittel im Laufe der Zeit durch Werbung und Sponsoren hereinzuholen.
In der Tat haben Eva und David seitdem 1995 viel bewegt. Innerhalb von drei Jahren avancierte haGalil zu einem der größten jüdischen Kultur- und Informationsdienste weltweit und zum größten jüdischen Online-Dienst in deutscher Sprache. Täglich finden sich hier neben aktuellen Nachrichten auch Informationen über das Leben der Juden in Deutschland, Österreich, der Schweiz und der Länder Mitteleuropas. Namhafte Autoren aus Israel und Palästina debattieren den Nahost-Friedensprozeß.
Auch der Holocaust ist ständig Thema. Überdies sind Mitteilungen über Neuerscheinungen auf dem Buch- und Musikmarkt sowie Einführungen in die hebräische und jiddische Sprache genauso selbstverständlich wie eine Einführung in die Regeln koscheren Sexes. Auch eine spezielle Seite für Kinder fehlt nicht. Doch jetzt steht der Dienst vor dem Aus. Die privaten Ersparnisse sind aufgebraucht, neue Finanzquellen nicht in Sicht. Da hilft auch nicht der Förderverein, in dem sich eine Gruppe von Freunden, Fans und Interessierten vor einigen Monaten offiziell in Berlin organisiert hat.
Jüdisches Leben ist in Deutschland unbekannt
Mittlerweile füllen die Bittbriefe des Vorstandes um finanzielle Hilfe und die Antworten darauf ganze Aktenordner. Dabei dominieren Gleichgültigkeit, Ignoranz, Unverständnis, Klischeedenken und meist eine deutliche Ablehnung. „Die Angerufenen reagierten mal frech, mal unverschämt. Einige sagten einfach: ,Na hören Sie mal! Juden, gibt's so was noch?‘ Häufig wurde ich an die imaginären reichen Juden verwiesen. Oft wurde, vor allem bei Großkonzernen, das bereits erfolgte Engagement für jüdische Kultur in Israel ins Feld geführt.“
Manche Manager befürchteten wohl, so David, ihre Produkte neben Bergen von Brillen und grauen Haaren präsentiert zu sehen. „Etwas anderes konnten und wollten sie sich unter ,jüdischem Leben‘ gar nicht vorstellen. Kein einziges mal wurden wir gefragt, wieviel eine Werbeschaltung bei uns kosten würde.“
Auch die Jüdischen Gemeinden in Deutschland sehen sich nicht in der Lage, das Projekt finanziell zu unterstützen. Ein anderer Grund für die bisherige Zurückhaltung dürfte sein, daß für das Medium Internet in den mehrheitlich konservativen Gemeinden kein Ansprechpartner vorhanden ist. Zwar vertritt haGalil drei Gemeinden, legt aber Wert darauf, nach allen Seiten hin offen zu sein.
Sollte der Dienst zur Aufgabe gezwungen sein, wäre das ein großer Verlust. Denn haGalil wird viel gelesen. Über 200.000 Surfer weltweit rufen die Seiten monatlich ab. Neugierig und interessiert sind vor allem Nichtjuden. Die Mehrheit der Leser kommt aus Deutschland und sucht direkten Kontakt zu den Juden, ihren Traditionen, aber auch mit der jüdischen Moderne.
Tagtäglich erhalten David und Eva aufmunternde Mails, doch weiterzumachen. So schreibt ein Leser aus Israel: „Ganz abgesehen vom Thema Judentum gehört Eure Website zum Allerbesten, was ich jemals im Internet gefunden habe. Es ist einfach genial. Erstaunlich, was heute in Deutschland möglich ist!“ Und aus Frankreich gelangte kürzlich folgende Nachricht in die Mailbox: „Von Euren finanziellen Schwierigkeiten zu hören macht traurig und betrübt, vor allem, wenn man feststellen muß, daß im Internet Radikale aller Art so viel Mittel und Unterstützung bekommen! Ohne zu übertreiben: Sie haben die besten jüdischen – und nicht nur jüdischen – Seiten Europas und vielleicht der Welt. Wirklich einladend, instruktiv und vielseitig. Eine ganz hervorragende Leistung!“
Doch viel Lob kann die so dringend benötigten Mittel nicht ersetzen. Das Aus für haGalil nahen sieht auch ein Leser aus Prag, der schreibt: „Ich fände es einen großen Schaden für uns, die Leute aus West-, Zentral- und Osteuropa, wenn wir diesen Web-Service nicht am Leben erhalten könnten. Wir wissen jetzt, daß Begeisterung der einzelnen nicht reicht. Aber durchdachte Zusammenarbeit – von vielen Leuten. Darauf baue ich auch weiterhin.“
Diese Hoffnung hat auch David nicht aufgegeben. Vielleicht geschieht doch noch ein Wunder. Wenn nicht, könnte haGalil ab Anfang Dezember nur noch als Archiv im Netz zu bewundern sein. Und eine Brücke zwischen Juden und Nichtjuden wäre wieder eingestürzt. Joanna Wiórkiewicz
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