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Die Wahrheit erlügen

Eric Amblers betriebsames Leben: Mit seinen Spionageromanen schrieb er gegen die Machenschaften der Mächtigen an  ■ Von Thomas Knauf

1982 erlitt Eric Ambler nahe Genf einen beinahe tödlichen Autounfall. Im Hospital begann der als Krimiklassiker längst abgeschriebene Autor an seinen Memoiren zu arbeiten, die 1985 unter dem doppelsinnigen Titel „Here lies“ (Hier liegt/lügt) erschienen. Statt einer eitlen Lebensbeichte wurde es ein spannender Politthriller, in dem der Ich-Erzähler wie Peer Gynt lügt, um die Wahrheit über die wirkliche Lage der Welt zu erkunden. Nun ist der Doyen der Spionageliteratur im Alter von 89 Jahren doch gestorben (siehe taz vom 26.10.). In 60 Schaffensjahren schrieb er 21 Romane, davon drei als Co-Autor, zwei autobiographische Bücher, einen Essayband und fünf Kurzgeschichten, und hielt vom ersten Thriller „Der dunkle Grenzbezirk“ (1936) bis zu seinen letzten als „Memories and other fictions“ (1992) deklarierten Lebensgeschichten ein gleichbleibend hohes Erzählniveau. Der Drang, die eigene curriculum vitae zu thematisieren, ließ den gelernten Maschinenbauingenieur ebenso kalt wie die Erfindung neuer Erzähltechniken. Mit Proust und Joyce verbindet ihn sowenig wie die Briten mit Europa, mit Balzac und Dürrenmatt soviel wie die Schweiz mit dem Nazigold.

Dem Dritten Reich schuldete der junge Idealist und linke Demokrat Ambler den Stoff für seine frühen Meisterwerke. „Ungewöhnliche Gefahr“, „Anlaß zur Unruhe“, „Nachruf auf einen Spion“ und „Die Angst reist mit“ warnten vor der Gefahr des Faschismus, als Europa sich noch im Frieden wähnte, und bewiesen eine weltpolitische Hellsichtigkeit, die den Erzähler als Experten für lautlose Kriege, schwelende Konflikte, geheime Umstürze und andere Kapital-Verbrechen berühmt machten. Die Technik des Staatsstreiches, die Malaparte spannend sezierte, benutzt der Suspense-Autor nur als Handlungsmaschine für seine fiktiven Chroniken der condition humaine im Ausnahmezustand des krisenreichen Jahrhunderts. Der Idealist Ambler (zu deutsch: Schlenderer) wandelte sich zum Pessimisten, nachdem er im Zweiten Weltkrieg als Produzent von Propagandafilmen für die britische Armee den Zusammenbruch des alten Europa erlebte. Weil die Nazis vorerst keinen Stoff für Thriller mehr boten, ging Ambler nach Hollywood und machte Karriere als Filmproduzent und Drehbuchautor. Vier seiner Bestseller waren zuvor leidlich, aber nicht den Vorlagen gemäß verfilmt worden, darunter „Die Maske des Dimitrios“, für Hitchcock der beste Kriminalroman des Jahrhunderts. Einen Ambler-Stoff verfilmte Sir Alfred nie, weil er als cinéma autheur lieber aus zweitklassiger Ware erstklassige Filme machte.

Erfüllung fand der Erzähler Ambler als Drehbuchschreiber nicht – trotz Oscar-Nominierung. So kehrte er nach elf Jahren Pause mit „Der Fall Deltschev“ (1951) zum Politthriller zurück. Das furiose Comeback bestätigte seinen unangefochtenen Rang als Meister intelligent-süffisanter Spannung und bedeutete die Abkehr von linker Schwärmerei. Empört über den stalinistischen Schauprozeß gegen den demokratisch gewählten Führer der Bulgarischen Bauernpartei, Petkov, entlarvt Ambler in seinem packenden Politkrimi das raffinierte sowjetische Szenario, die nationale Unabhängigkeit in Osteuropa zu ersticken.

Weil es gefährlich ist, die Politik den Politikern zu überlassen, er aber selber keiner Partei angehören wollte, schrieb Ambler unermüdlich gegen die geheimen Machenschaften der Mächtigen an. Seine stärkste Waffe sei seine Neugier, so der Autor, statt Belletristik lese er lieber Börsenberichte und studiere Landkarten fremder Länder. In seinem Domizil am Genfer See, in feiner Gesellschaft von Diktatoren, Geheimdienstlern, Finanzbetrügern und anderen Ruheständlern, fand der Autor den Stoff, aus dem die globalen Alpträume sind.

Der Ambler-Touch vereint die plebejische Phantasie eines Voltaire mit der philosophischen Weisheit eines Montaigne, garniert mit einer gehörigen Priese britischem Understatement. Die Distanziertheit des unparteiischen Beobachters verführt Ambler nie dazu, die Welt durch die ideologisch getönte oder biographisch geschliffene Orwell/Koestler-Brille zu sehen, sondern wie sie ist – schmutzig, gemein, bedrohlich wirklich. Seine Lieblingshelden sind meist fragwürdige Existenzen mit zweifelhaften Berufen: Waffeningenieure, Schmuggler, Agenten, Schriftsteller. Sie sind seelisch entwurzelte, politisch heimatlose Gesellen, Naivlinge von empörender Dummheit, gargantischem Aberwitz und Schweijkscher Schelmenhaftigkeit. Als Verfolgte der Wirklichkeit jagen sie weniger Geheimnissen fremder Mächte nach, als ihrer eigenen Wahrheit. Sie bleiben Fremde in fremden Verhältnissen und sind Opfer von Intrigen und Verwechslungen, die sie oft nur durch Zufall überleben.

In „Schmutzige Geschichte“ (1967), seinem düstersten Roman, ist der Held ein Zuhälter und Pornograph mit einem polizeilichen Paßproblem und wird wider Willen in einen von Ölmultis angezettelten Grenzkonflikt in Afrika hineingezogen. In „Topkapi“ (1962) stehlen professionelle Ganoven auf geniale Weise einen Diamantendolch aus dem bestbewachten Museum des Balkans und scheitern an einem kleinen Schurken, der für die Polizei arbeitet.

Peter Ustinov hat ihm in der atmosphärisch dichten, aber etwas neckischen Verfilmung von Jules Dassin seine unverwechselbare Gestalt gegeben und schrieb auch mit Ambler das Drehbuch. Echte Einbrecher ahmten den von Ambler ausgedachten Seiltrick nach und gingen mit ihrem spektakulären Domraub zu Köln in die Verbrechensgeschichte ein. Was Georg Lukács recht gibt, der meint, realistische Literatur muß die Wirklichkeit nicht nur getreu nachahmen, sondern auch lebendige Vorbilder liefern. Amblers kriminelle Phantasie war der Wirklichkeit stets um eine Nasenlänge voraus, wie in „Der Levantiner“. Da spekuliert der Autor, Jahre vor Mogadischu und München, über spektakuläre Terrorpläne palästinensischer Freischärler.

Seine ersten literarischen Gehversuche machte der Sohn eines Londoner Entertainerpaares mit Sketchen fürs Vaudevilles-Theater. Daher wohl die Angst des Romanerzählers, seine Leser zu langweilen. Mit Vorreden und Erklärungen hält sich der Autor nie lange auf. Seine poetische Maxime – „If you have anything to say, say it short and loud“ – führt er exemplarisch in den ersten Sätzen seines Romans „Mit der Zeit“ (1981) vor: „Der Brief mit der Warnung traf Montag ein, die Bombe selber am Mittwoch. Es wurde eine betriebsame Woche.“

Nun müssen treue Leser von E.A. auf Nachgelassenes hoffen oder auf Altbekanntes zurückgreifen. Zum Beispiel auf „Schirmers Erbschaft“ (1953), den am meisten unterschätzten Ambler-Roman. Oder sie fragen im Buchhandel nach Peter Schmidt, einem noch jungen Thriller-Autor aus Gelsenkirchen, der mit einem Dutzend Politthrillern von angelsächsischem, bisweilen Amblerschem Format noch kaum bekannt ist.

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