: Rhythmisch wandern die Messingbetten
Alex de la Iglesias „Perdita Durango“ handelt von Voodoo-Heckmeck, deftigen Liebeleien und allerlei gutgebauten Gangstern, die tötend durch die Lande reisen. Trifft hier nach den White-Trash-Phantasien von „Wild at Heart“ nun Sexploitation auf Mexploitation? ■ Von Gudrun Holz
Es beginnt mit einem Rundflug über irgendeinen Randbezirk. Eine mexikanische Favela nahe der Grenze zu den USA. Kleine Hütten, kleine Leute, nicht mal von oben besonders schön. Bei Gesamtansichten allerdings wird sich dieser Film nicht aufhalten. Hier zählen Chiffren, Kontraste, Details oder einfach vollgepropfte mexikanische Saloons, wo selbst die Kamera den Überblick zu verlieren droht. So wird auch die Actionheldin des gleichnamigen Films „Perdita Durango“, eine von zahlreichen Passionen getriebene junge Frau, eher auf der sentimentalen Schiene eingeführt. Eben erst verstreut sie die Asche ihrer Schwester aus der Urne, wenig später schon sitzt sie aufgeräumt auf einem Barhocker und schlürft durch den Strohhalm ein süßes Erfrischungsgetränk, das wie zufällig dieselbe Farbe hat wie ihr dunkles Outfit.
Sobald die Kamera wieder am Boden ist, geht es allerdings ohne viel Federlesen zu den Basisthemen des Films: jenseitige Rituale auf Friedhöfen und anderswo, Sex, Konversation im pointierten Sitcom-Stil und vor allem der Zusammenstoß der „Gefährlichen mit den Harmlosen“, meint: den Hispaniern mit schlichten Gemütern nordamerikanischer Herkunft.
Wo aber kommt diese Person mit der geschweiften Sonnenbrille, den schwarzen Haaren und der knapp unter dem Dekolleté geknoteten schwarzen Bluse eigentlich her? Trifft hier Sexploitation auf Mexploitation? Ist Rosie Pérez als Perdita womöglich die kleine Schwester von Tura Satana aus Russ Meyers „Faster Pussycat, Kill! Kill!“?
Isabella Rosselini mit ihren buschigen Augenbrauen im Frida- Kahlo-Look und blonder Perücke hatte es schon mal probiert. Ihre Perdita Durango war eine kleine Rolle in „Wild at Heart“ nach Barry Giffords Roman „Sailor und Lula“ – eine Nebenfigur, die im fertigen Film kaum noch auftauchte, sondern hauptsächlich dem Schnitt zum Opfer fiel.
Barry Gifford gilt als zeitgenössischer Meister der gehobenen Kolportageschreibe, und als sein besagter Roman Ende der Achtziger von David Lynch verfilmt wurde, schrieb er danach sofort den nächsten. Diesmal waren die Rollen vertauscht. Statt des White- Trash-Loser-Pärchens Sailor und Lula ist das gemischte Doppel diesmal schwarz – oder zumindest mexikanisch.
Ein anderes Kaliber mußte her, eine bestrickend gefährliche Person wie die in den Zwanzigern und Dreißigern von den Selznick-Brüdern lancierte Hollywood-Diva Dolores del Rio, von deren mexikanischem Geburtsort Durango die Heldin den klangvollen Nachnamen hat, „59* an Raining: The Story of Perdita Durango“ scheint von vornherein auf seine Verfilmbarkeit hin angelegt.
Zwar existiert nicht ganz zufällig schon seit drei Jahren ein Comic der Story, mitherausgegeben von „Maus“-Zeichner Art Spiegelman. Aber die klischeehafte Griffigkeit der Figuren war nur die eine Seite. So hat die Filmversion des Spaniers Alex de la Iglesia denn auch eher die einprägsamen Dialoge des Buchs zu seinen Eckpfeilern gemacht. Rosie Pérez als de la Iglesias „Perdita“ fragt ihren zukünftigen Liebhaber, den Kleingangster Romeo (Javier Bardem), der nebenbei mit allerlei Voodoo-Heckmeck die Leute in seinen Bann zieht, beim ersten Rendezvous: „Wie sehe ich aus, etwa wie Doris Day?“ Keinesfalls.
Rosie Pérez läßt den manipulativen Charakter ihrer Figur über ein schillerndes Minenspiel sprechen. Zwei Grübchen über dem spitzigen Kinn, gelegentlich lauernd eingezogen, werden kühn überragt von zwei unheilverheißenden strengen Falten, die von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln verlaufen. Zur Krönung der Zweisamkeit („let's kill somebody“) kidnappen beide ein weißes amerikanisches Teenagerpaar und inszenieren für sie und mit ihnen eine sadistische kleine Horror Picture Show. Insgesamt bezieht dieser Film seine Stärke eindeutig aus den Kontrasten und dem durchgängigen Verzicht aus Erklärungen für die jäh ausbrechenden gewalttätigen Exzesse, die das Paar Perdita/Romeo als joyride auf mexikanischen Landstraßen auslebt.
Javier Bardem, der als Zeremonienmeister die Augen verdreht, zu wackeln beginnt und gutturale poltergeistartige Laute von sich gibt, ist die eine Seite. Unterstützt wird er vom legendären Screamin' Jay Hawkins, der seine eigenen Shows u.a. mit Särgen dekoriert und hier als Mann fürs Grobe bei blutrünstigen Ritualen aushilft. Die andere Seite ist eine Lovestory, bei der rhythmisch wandernde Messingbetten und stachlige Riesenkakteen für orgiastische Leidenschaften stehen.
Obwohl das Ganze auf wahren Begebenheiten beruht, merkt man der Geschichte an, daß sie bei aller Drastik von ausgebuddelten Leichen und zerquetschten Dummies doch auf eine fiktive Story hinausläuft. Das tatsächliche Paar namens Sara und Constanzo, von denen eine mexikanische Zeitung 1989 berichtete und auf deren Quelle sich auch Barry Gifford bezog, kursiert noch heute in schaurigen Anekdoten, die laut Regisseur de la Iglesia „unmöglich zu verfilmen gewesen“ seien.
Aber auch vom fertigen Film existieren offenbar verschiedene Fassungen, wenn beispielsweise mal länger, mal kürzer ein Sugar Daddy ein kleines Mädchen ohrfeigt oder auf jemanden mit einem Flaschenhals eingestochen wird. An kruden Details wird nicht gespart, und zwischendrin scheint der Film manchmal die Lust an der Kontinuität zu verlieren und lieber in der Szenerie des eklektizistisch zusammengesammelten Konglomerats aus Heiligenbildern, mumifizierten Kadavern und Amuletten zu verharren. Während höhnisch Herb Alperts „Spanish Flea“ aus dem Soundtrack dudelt.
All das wäre schwer erträglich ohne de la Iglesias schwarzen Humor, weshalb er Javier Barden womöglich auch diese alberne schwarze Ponyperücke aufgesetzt hat, mit der er gelegentlich aussieht wie ein mexikanischer Monty Python. Überhaupt Farben. Da gibt es eigentlich nur das von spärlicher Vegetation durchsetzte Braunbeige des mexikanischen Karstlandes, in dem sich ab und zu die schrille Folkloristik tummelt. Sonst nichts. Höchstens mal etwas Staub, der aufwirbelt. Das ist schön.
„Perdita Durango“. Regie: Alex de la Iglesia. Mit: Rosie Pérez, Javier Bardem u.a., Spanien/Mexiko 1998, 128 Min.
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