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„Selbsthilfe ist keine verstaubte Idee“

Seit 20 Jahren verteilt der politische Förderfonds „Netzwerk Selbsthilfe“ Spenden aus der Alternativszene an selbstverwaltete Betriebe und politische Initiativen. Das Geld wird immer weniger, die Nachfrage jedoch nicht  ■ Aus Berlin Sabine am Orde

An der Bürotür hängt ein Plakat mit dem Porträt von Ulrike Meinhof, das für eine Veranstaltung zum 20. Todestag der RAF-Aktivistin wirbt. Auf den unteren Rand des Plakats ist ein kleines, rasendes Sparschwein gedruckt, „gefördert von Netzwerk“ steht daneben. 2.000 Mark hat der politische Förderfonds 1996 für die Gedenkveranstaltung in der Technischen Universität springen lassen. Heute stehen Entscheidungen über die Vergabe ähnlicher Summen an.

Es ist Mittwoch abend, kurz nach sieben, der monatliche Förderbeirat des Vereins Netzwerk Selbsthilfe tagt. In dem kleinen Büro im zweiten Stock des Kreuzberger Mehringshofs drängen sich zwischen Regalen mit Büchern, Broschüren und Aktenordnern 15 Leute um einen großen Tisch. Drei von ihnen haben die Anträge verfaßt, die kopiert für alle auf dem Tisch liegen: Der Eine-Welt-Info- Laden Baobab braucht 3.000 Mark für eine Veranstaltungsreihe zum Uranabbau. Die Kurdische Gemeinde möchte die Rückzahlung ihres 4.000-Mark-Darlehens verschieben, mit dem sie eine Mietkaution deckte. Und der Tauschring aus Charlottenburg beantragt, daß ein Teil seines Kredits von 1.450 Mark in einen Zuschuß verwandelt wird. Neben den Förderentscheidungen stehen am heutigen Abend letzte Absprachen für das große Fest am kommenden Samstag an, denn dann feiert Netzwerk seinen 20. Geburtstag.

„Natürlich ist die Situation schwieriger geworden, die sozialen Bewegungen haben sich nun mal ein Stück überlebt“, sagt Andreas Rosen, der seit fünf Jahren im Netzwerk-Beirat und inzwischen auch im Vorstand sitzt. „Seit 15 Jahren gehen sowohl die Anzahl der NetzwerkerInnen als auch die gespendeten Beiträge zurück.“ In den Netzwerk-Hochzeiten, zu Anfang der achtziger Jahre, hatte der politische Förderfonds noch 4.000 Mitglieder und schüttete pro Jahr 500.000 Mark an Darlehen und Zuschüssen aus. Mittlerweile gibt es noch 950 NetzwerkerInnen, im vergangenen Jahr konnten 185.000 Mark an insgesamt 51 Projekte verteilt werden – darunter der Polnische Sozialrat, die Volksuni und die Wochenzeitung Jungle World. Das Prinzip ist dasselbe geglieben: Die Netzwerk-Mitglieder spenden an den Förderfonds, symbolisiert durch das rasende Sparschwein, der das Geld dann an politische Initiativen und alternative Projekte umverteilt.

Angefangen hat alles im Dezember 1977, als an einem West- Berliner Küchentisch die Idee einer Art Berufsverbotsversicherung geboren wurde. „Die Linke war damals von den Sozialdemokraten total enttäuscht, dann kam der Deutsche Herbst, Staatsräson, Widerstand“, erinnert sich Gert Behrens, ein Netzwerker der ersten Stunde, an das damalige Klima in der Stadt. „Selbsthilfe war angesagt.“ Gemeinsam mit anderen gründete Behrens einige Monate später einen Solidaritätsfonds, der die Arbeit in Kollektivbetrieben und politischen Vereinen unterstützen sollte.

„Netzwerk Selbsthilfe“, wie sie den Fonds nannten, entwickelte sich schnell zu einer wichtigen Institution für die alternative Szene – nicht nur in West-Berlin: 1979 gab es bereits 4.000 NetzwerkerInnen in der ganzen Republik, für Vollversammlungen zog man in die Freie Universität. Fördersummen, von denen der Beirat heute nur noch träumen kann, beglückten damals Projekte in der gesamten Bundesrepublik. Erst Anfang der achtziger Jahre, als das Berliner Netzwerk-Modell in anderen Städten Schule machte, beschränkten sich die BerlinerInnen auf Mitglieder und Förderungen im Westteil der Stadt. „Die Projekteliste von damals liest sich wie ein Who ist who der Alternativszene“, sagt Gert Behrens, dessen Netzwerk- Engagement sich inzwischen auf eine monatliche Überweisung von 30 Mark beschränkt. Damit liegt er immer noch über dem Spendenschnitt.

Öko- und Buchläden, selbstverwaltete Tagungshäuser und linke Medien schob Netzwerk in den ersten Jahren an – auch der Kredit zum Kauf des ersten taz-Computers wurde mit einer Netzwerk- Bürgschaft abgesichert. Kulturprojekte wie die Ufa-Fabrik, die Berliner Kabarett Anstalt (BKA) und die Neuköllner Oper, die heute weit über Berlin hinaus einen Namen haben, hat Netzwerk mit auf den Weg gebracht. Doch mit den Jahren trat die Unterstüzung von Kollektivbetrieben in den Hintergrund, ein immer größerer Anteil des Geldes floß an politische Initiativen. Dabei setzte Netzwerk Schwerpunkte: 1986 stand Tschernobyl im Mittelpunkt, 1987 der Volkszählungsboykott, 1988 die Gegenveranstaltungen zur Tagung des Internationalen Währungsfonds in Berlin. Nach der Wende bedrohten die explodierenden Gewerbemieten der Stadt viele Projekte, Netzwerk mußte eingreifen. Dann erforderten Flüchtlingsarbeit und Antirassismus politisches und finanzielles Engagement. „Ein Schwerpunkt heute ist die lokale Ökonomie“, sagt Andreas Rosen und meint damit unter anderem Tauschringe.

1980 bezog Netzwerk sein Büro im Mehringhof, dem alten Fabrikgebäude an der Kreuzberger Gneisenaustraße, das Netzwerk damals gemeinsam mit sechs anderen Projekten für zwei Millionen Mark von der Druckerei Berthold gekauft hatte. Andere kauften damals nicht, sondern besetzen – und Netzwerk unterstützte sie dabei. Der Verein gründete die Netzbau GmbH als Träger für besetzte Häuser und verhandelte mit dem Senat.

Doch das ging nicht lange gut. Als 1982 zwei Tage vor dem Vertragsabschluß zwei Häuser in der Schöneberger Maaßenstraße dennoch geräumt wurden, klinkte sich Netzwerk aus und trennte sich von Netzbau, das unabhängig von dem politischen Förderfonds und unter dem Namen „Stattbau“ den Eiertanz zwischen Senatsgeldern und selbstbestimmtem Wohnen fortsetzte. Das war nicht die erste Abspaltung: Bereits ein Jahr zuvor gab es zwischen den Geschlechtern Knatsch. Der Streit um einen Frauenbeirat und eine Frauenquote führte dazu, daß sich das feministische Netzwerk „Goldrausch“ gründete.

„Doch all das ist lange her“, sagt Gerd Behrens, schaut nachdenklich und fügt hinzu: „Aber irgendwie ist Netzwerk eine absterbende Organisation.“ Zwar sei Hilfe zur Selbsthilfe nach wie vor der richtige Ansatz, „aber im Gegensatz zu früher ist Netzwerk heute politisch bedeutungslos“. Ganz widersprechen können dem die heutigen Netzwerk-AktivistInnen nicht. Dennoch: „Selbsthilfe ist keine verstaubte Idee, sie ist unter heutigen Bedingungen wichtiger denn je“, meint Vorstandsmitglied Andreas Rosen. Gerade in einer Zeit, in der immer mehr gesellschaftliche Gruppen aus Erwerbsarbeit und sozialstaatlicher Absicherung ausgegrenzt werden, sei die Idee politischer und ökonomischer Selbsthilfe höchst aktuell. Dafür spricht auch, daß die Anträge, die bei Netzwerk eingehen, nicht ab-, sondern sogar leicht zunehmen.

Eine Antwort von Netzwerk auf die veränderte Situation: Der Förderfonds hat die Gründung des ersten Berliner Tauschrings in Kreuzberg mit angestoßen, in dem Dienstleitungen direkt gegeneinander getauscht werden. Diese Idee will Netzwerk weiterentwickeln. Im Mehringhof wird über einen sogenannten Ressourcentauschring nachgedacht, in dem nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Betriebe, Vereine und Initiativen ohne Geld miteinander ins Geschäft kommen.

Nachwuchs erhoffen sich die AktivistInnen aus dem Mehringhof vom Jugendnetzwerk Klondike, das künftig wie nach einem ähnlichen Konzept wie Netzwerk ein Förderfonds für Jugendprojekte werden soll. „Auch daran sieht man“, urteilt Andreas Rosen, „daß wir mehr wollen, als den Prozeß des Sterbens zu verlängern.“

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