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ÖkolumneKlimagipfel der Reparaturen

■ In Buenos Aires muß man erst einmal die Fehler von Kioto beheben

Sechseinhalb Jahre nach dem Erdgipfel von Rio de Janeiro kommt die Klimakarawane ernüchtert wieder in Lateinamerika an. Buenos Aires ist Veranstalter des diesjährigen Klimagipfels. Dort müssen einige Sollbruchstellen geflickt werden, die vor einem Jahr im japanischen Kioto mit der Einigung auf ein Klimaschutzprotokoll erst geschaffen worden sind. Dazu zählt die Einigung auf das Regelwerk eines zukünftigen Handels mit Verschmutzungsrechten, dem sogenannten Emissionshandel.

Das Kioto-Protokoll verlangt, daß die Industrieländer ihre Treibhausgase bis zum Jahre 2010 gegenüber dem Stand von 1990 um gerade mal fünf Prozent verringern. Das Zauberwort heißt „Flexibilität“. Aber: Gesunder Menschenverstand geht eigentlich davon aus, daß die einen Länder – „flexibel“, wie sie sind – zumindest ein bißchen mehr Sonne und Wind, andere sparsamere Autos und bessere Wärmedämmung einsetzen. Weit gefehlt! Selbst die schwachen Ziele im Kioto-Protokoll lassen sich „flexibel“ so verwässern, daß unter dem Strich der Ausstoß des Haupttreibhausgases Kohlendioxid (CO2) in vielen Industrieländern (OECD-Länder) sogar noch steigen darf. In Buenos Aires muß deshalb damit begonnen werden, die Schlupflöcher zu schließen.

Schlupfloch Nummer eins: Das Kioto-Protokoll erlaubt den Handel mit Emissionen. Folgt man den USA, Kanada und Japan, sollte dieses „marktkonforme flexible“ Instrument für alle Industrieländer unbegrenzt anwendbar sein. Das kann sinnvoll sein, sofern der Handel mit Emissionsrechten unter Ländern mit engagierten Klimazielen dazu führt, daß mehr Emissionen vermieden werden als vereinbart. So läuft es aber nicht! Während die große Mehrheit der OECD und der osteuropäischen Länder die Emissionen um sechs bis acht Prozent verringern muß, brauchen Rußland und die Ukraine ihre Emissionen laut Klimaprotokoll nur zu stabilisieren. Insgesamt hat sich aber der CO2-Ausstoß durch deren ökonomischen Zusammenbruch seit 1990 unfreiwillig um etwa eine Milliarde Tonnen vermindert – das ist deutlich mehr, als das Fünfprozentziel von allen Industriestaaten zusammen verlangt! Und es gibt keinen Ökonomen, der beiden Ländern einen deutlichen Zuwachs der Emissionen prophezeit.

Die „flexiblen“ Protagonisten möchten sich nun das Emissionsrecht aus Rußland sichern, das dieses bis 2010 gar nicht mehr ausschöpfen kann. Und Rußland möchte Devisen. Beim Käufer dieser billigen „heißen Luft“ aus dem bankrotten Moskau qualmen die Schornsteine weiter, während die Reduktionsziele formal erfüllt sind. Das ist Beschiß!

Das zweite Schlupfloch hängt ebenfalls mit dem Handel der Emissionen zusammen: Viele Länder, allen voran die USA, wollen, daß sich auch die Entwicklungsländer schon am Klimaschutz beteiligen – und zwar über freiwillige Verpflichtungen, bei denen ihnen zugestanden wird, daß ihre Emissionen vorerst noch steigen dürfen. Das ist an sich nichts Schlechtes. Nur: Sie sollen unausgesprochen die „Flexibilität“ der Industrieländer noch vergrößern. Alle Länder mit Klimaschutzverpflichtungen, egal ob per Klimaprotokoll oder freiwillig gewählt, dürfen nämlich mit ihren Emissionsrechten handeln. Was hindert also Argentinien oder Malaysia daran, sich ein Klimaschutzziel bis 2010 zu setzen, das ihren Zuwachs am Ausstoß von klimaschädlichen Gasen auf 100, 200 oder 500 Prozent über den Emissionen von 1990 begrenzt? Auf diese Weise behielte das Entwicklungsland Emissionsspielraum übrig, den es verkaufen kann. Wenn der Lohn darin besteht, diese sogenannte tropische heiße Luft meistbietend an die USA und Co. verschachern zu können, ist schnell vergessen, daß eine Klimaänderung die Entwicklungsländer besonders trifft. Die Naturkatastrophen in diesem Jahr haben es gezeigt. Bangladesch etwa hat als Folge der Überschwemmung ein Zehntel seines Bruttoinlandsproduktes verloren.

Wenn die „Flexibilität“ im Emissionshandel in Buenos Aires nicht begrenzt wird, wenn Lizenzen gehandelt werden dürfen, die ein Mehr an Treibhausgasen legalisieren, käme das einer Bankrotterklärung des Kioto-Protokolls gleich.

Was ein Erfolg von Buenos Aires sein könnte? Ein Verbot der heißen Luft und eine Verpflichtung, seinen Dreck zuerst zu Hause zu beseitigen. Eigentlich logisch, oder? Aber wir sind bescheiden geworden: Außer Dänemark, Deutschland und Österreich hat das bislang niemand vor. Stephan Singer

Stephan Singer (40) ist Abteilungsleiter Klimaschutz beim WWF und seit sechs Jahren bei allen Klimaverhandlungen dabei. Foto: WWF

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