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Iiiiih!

■ Was sehen Kinder, wenn sie auf die Leinwand gucken? Impressionen vom Kinderfilmfest im Kino 46

amit wir es nicht vergessen: Lennart Bosche (geschätztes Alter: 14) bat darum, der taz-Leserschaft auszurichten, daß er sehr froh darüber sei, daß Bill Gates auf Schadensersatz in Millionenhöhe verklagt wurde. Eigentlich wollte Lennart auch noch auf diesem Wege eine Ex-Freundin grüßen lassen. Aber das ist nun wirklich nicht von öffentlichem Interesse. Sein Freund Baptiste Frize (geschätztes Alter: 11) möchte gerne via Druckerschwärze einen Gruß an alle Bremer Omas in die Welt hinaussenden. Unser großzügiges Angebot an Baptiste, über die Zeitung irgendeinen Weihnachtsgeschenke-wunsch an seine Eltern durch den Öffentlichkeits-charakter zu bestärken, schlug er prompt aus. Er sei wunschlos. Diese Jugend erstaunt immer wieder. Und zwar nicht nur durch Bescheidenheit, sondern auch durch Durchblick: Lennart meinte, das müsse ja eine arg dämliche Zeitung sein, die solchem Oma-und-Bill-Krimskrams Zugang zu ihren holden Seiten gewähren würde.

Lennart und Baptiste sind Mitglieder der „Jugendjury 2“. Die diskutiert und bewertet alle Filme, die beim „8. Kinder- und Jugendfilmfestival“ im Kino 46 auf der 18.30-Uhr-Schiene laufen. Das Niveau der Debatte kann mit mancher Kino-rezension mithalten. Die Wertkriterien allerdings unterscheiden sich eklatant. Wichtig sind den Kids vor allem zwei Dinge: Logik und Linearität der Erzählung. Daß im dänischen Film „Keine Angst vorm Fliegen“ eine kreuzarme Familie ausgerechnet in einem bombastischen Haus am Meer residiert, stößt den Kindern sauer auf. Und ist es nicht heillos irrational, wenn ein Arbeitsloser, der eben noch seine Schrottkarre veräußern muß, plötzlich mit einer tollen Angelausrüstung anrückt. Erstaunlich detailliert gucken die Jugendlichen hin. Schließlich will man sich keinen Bären aufbinden lassen. Daß andernorts, zum Beispiel an der Ostsee, eine Angelausrüstung vielleicht zum Grundinventar menschlichen Lebens zählt, begreifen sie aber noch nicht.

„Keine Angst vorm Fliegen“ erzählt von der Freundschaft zwischen einem Mädchen der Unterschicht und dem aus einer reichen Familie. Wie in unendlich vielen anderen Jugendfilmen wird hier gezeigt, daß Jugendliche mit den kleinen und großen Problemen des Erdendaseins deutlich intelligenter und couragierter umgehen als ihre sturen, antriebslosen, resignierten, unerwachsenen Eltern. Ein Aufruf zum Autoritätsbruch: Wenn Eltern Sinniges verbieten, muß man sie eben austricksen – inklusive Notlüge. Genau. Diese Message durchpulst nicht nur den Hauptstrang der Story, sondern verfrickelt sich in Seitensträngen. Die Jugendlichen finden dies inkonsequent: Wo ist das stringente Konzept? Baptiste präzisiert seine Mißbilligung durch einen Vergleich mit Hollywoodfilmen: Auch dort gebe es verschiedene Geschichtsstränge. Die aber würden am Ende sauber zusammengeführt. Im dänischen Film hingegen werden Themen angerissen und lieblos fallengelassen. „Das mag vielleicht Erwachsenen gefallen, wir Jugendliche finden das nicht so gut“ – immerhin ist er bemerkenswert tolerant. Trotz Kritik erntet der Film die Durchschnittsnote 2 plus – großzügig sind die Kids auch noch. Obwohl der Film Baptiste gefiel, sieht er sich sonst lieber Filme wie Armageddon an. Natürlich im CinemaxX.

Aber nicht alle Kids sind schon früh mit Hollywooderfahrungen vollgestopft. Die haben dann mit einer sogenannten „zeitgemäßen“ Darstellung von Gewalt und Schrecken richtige Probleme. Zum Beispiel im Fall „Ein Fall für Borger“. Diese aufwendige britische Produktion erzählt, wie sich eine Familie mausgroßer Wichtelmänner gegen einen widerlichen Spekulantenraffzahn zur Wehr setzt – durch Klugheit, Wendigkeit und Teamgeist. Die „Jugendjury 1“ war begeistert: Schließlich sind auch sie klein und wehrhaft. Zwar konnten sie im Unterschied zur älteren Jury 2 noch nicht formalistisch und cineastisch argumentieren, doch klar war: Der Film ist superspannend und superwitzig. – Nur nicht für eine Mami. Der ist es bislang gelungen, ihre beiden Kinder weitgehend vom TV fernzuhalten – und muß jetzt für diese pädagogische Großtat bitter büßen. Ihre Zwei finden es nicht so wahnsinnig lustig, wenn dem Bösewicht das Gesicht verbrannt wird, und kleine Borgers in Milchflaschen gegen den Ertrinkungstod kämpfen oder von Maurerpickeln traktiert werden. Eines der Kinder will raus aus dem Kino, das andere will drinbleiben, in der Hoffnung auf Erlösung durch ein gutes Ende. Am Ende sind die Kids geschafft, und die Mutter ist stinksauer: Der Film ist ab 6 ausgezeichnet. Ein ähnliches Problem hatten die Veranstalter schon letztes Jahr. Da war es ein durchaus anspruchsvoller Problemfilm, dem eines der Kids nicht gewachsen war.

Das Kino 46 wird wohl im nächsten Jahr auf dieses Problem unterschiedlicher Abgebrühtheitsgrade reagieren und deftigere Filme mit „parently advisories“ versehen – wie im HipHop längst üblich.

Noch ein weiteres Problem gibt es zu diskutieren: Je liebevoller und ausdifferenzierter das Angebot, desto weniger findet es den Weg zu den Jugendlichen. Jubel und Trubel dröhnt bei den Vormittagsvorstel-lungen und bei lustigen Filmen. Küssen sich zwei Vorpubertäre auf der Leinwand, raunt ein spöttisches „Iiiih“ durchs Kino. Bedrohte Borgers werden kundig beraten: „Renn doch weg.“

Doch nur zwei Mädels wollen einen Film über den Bosnienkrieg sehen; gar darüber debattieren will kein einziger. Wenn Renato Grünig von der Shakespeare Comany liest, fehlt es an Konzentration. Die geplante „Festivalzeitung“ wird wohl ohne Texte erscheinen: Ohne Anleitung mögen die Kids zwar malen, aber nicht schreiben. Und auch der anvisierte LEGO-Trickfilm ist eher eine Spielerei für Erwachsene. Gerade mal zwei Jungs sind es, die ein wunderschönes UFO bauen. Mit der Videotechnik umgehen können und dürfen nur die Oldies. Immerhin: Der LEGO-Film wird gewiß wunderschön. Erstaunlich, wie es mit ein bißchen Lichtzauber gelingt, ein paar billige Plasticknirpse zu magischen Bösewichten aufzublasen. Aber auch in Wirklichkeit sind Knirpse manchmal magische Bösewichte bk

Filme, täglich bis Samstag um 10, 15, 18 und 20.30 Uhr. Jim Knopf: Fr&Sa, 22.30h, So 11h

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