: Geldregen auf kleine Felder
EU-Agrarkommissar Fischler will EU-Milliarden neu verteilen und damit ländliche Regionen vor der Entvölkerung bewahren. Osteuropa nicht berücksichtigt ■ Aus Brüssel Peter Sennekamp
Bisher profitierten vor allem die Großagrarier und ihre Lieferanten von EU-Subventionen. Jetzt sollen laut einem Vorschlag der EU- Kommission einige Milliarden Euro umgeleitet werden: Weg vom Konzept des Großflächenanbaus und der Massentierhaltung, hin zu mehr Umweltschutz, mehr Beschäftigung, intakten Landschaften und Qualität in der Produktion.
Ausgerechnet die im Brüsseler Lobbygeschäft gegenüber Agrarverbänden so schwachen Initiativen und Kleinunternehmen in ländlichen Regionen haben bei der EU-Kommission einen mächtigen Freund: Agrarkommissar Franz Fischler, zuständig für den mit Abstand größten Haushaltsposten der EU in Höhe von rund 90 Milliarden Mark pro Jahr. Er traf sich in der vergangenen Woche in Brüssel mit rund 60 west- und osteuropäischen Vertretern des „Europäischen Netzwerks für die Erfahrung mit nachhaltiger Entwicklung“. Über zweieinhalb Milliarden Euro (rund 5 Milliarden Mark) plane die EU-Kommission schon im kommenden Jahr für Projekte der „ländlichen Entwicklung“ ein, so der Agrarkommissar gegenüber der taz. „Wir wollen experimentieren, neue Anbauformen fördern, mehr Beschäftigung auf dem Land sichern.“ Sollte sich die EU-Kommission mit ihrer „finanziellen Vorausschau für den Zeitraum 2000–2006“, durchsetzen, so stünden der ländlichen Entwicklung ab der Jahrtausendwende sogar rund 9,5 Milliarden Mark jährlich zur Verfügung, also 10 Prozent des gesamten Agrarbudgets.
Eine Erklärung für Fischlers weitreichende Ankündigung fand Hannes Lorenzen, einer der Initiatoren des Europäischen Netzwerks: „Es gibt inzwischen zu viele Regionen, die im globalen Agrarwettbewerb nicht mehr mithalten können. Die alte Marktordnung, Milch-, Getreide- und Fleischerzeugung zu begünstigen und anschließend die Überschüsse zu verwalten, ist zu teuer geworden.“ Auch berücksichtigt Fischler stärker als frühere Agrarkommissare die Flucht der Landbewohner in die Städte. So hat Beschäftigung in hauptsächlich ländlichen Regionen zwischen 1986 und 1995 um 2,9 Prozent abgenommen. Daraus resultieren „Schwierigkeiten, eine kritische Masse von essentiellen Einrichtungen dort zu erhalten“, so Lorenzen. Und wenn diese kritische Masse der Landbevölkerung unterschritten sei, knicke die ganze ländliche Infrastruktur ein, bestätigte der Kommissar.
Lorenzen forderte Fischler darum auf, Naturschutz, Direktvermarktung, Tourismus und erneuerbare Energien zu etablieren. „Wir fühlen uns bestätigt, daß Fischler unseren Bottom-up-approach unterstützt, also weniger von oben verordnete Maßnahmen der EU und dafür mehr vernetzte Initiativen von unten.“
Seit 1991 gibt die EU für ländliche Projekte Starthilfe, zunächst 500 Millionen Ecu (rund 1 Milliarde Mark). Mit dem EU-Programm „Leader“ etwa hat die Kommission inzwischen 900 lokale Aktionsgruppen gefördert. Unbürokratisch und ohne Zeitverlust sollen kleinbäuerliche Projekte, Kooperativen und gewerbliche Produktion in dünn besiedelten Regionen gefördert werden.
Der EU-Kommissar räumte jedoch ein, daß die Zustimmung des Europäischen Ministerrats zu den neuen Finanzplänen der Kommission noch ausstehe. Ursache hierfür sind Unstimmigkeiten über die sogenannte Agenda 2000. In ihr sind für den Agrarsektor die (finanz-)strategischen Vorschläge der Kommission für die Osterweiterung der EU zusammengefaßt – vor allem Subventionskürzungen und Preissenkungsvorschläge für Rindfleisch, Milch und Getreide.
Die Netzwerk-Sprecher aus Estland und Ungarn begrüßten zwar die Kommissionspläne, kritisierten aber gleichzeitig, daß ihre ländlichen Projekte keine Gelder aus dem „Leader-Programm“ bekämen. Bislang bleibt das Programm auf die schon bestehende EU beschränkt. „Nachhaltigkeit ist für viele noch ein Buch mit sieben Siegeln, für andere schon ein verbrauchtes, nichtssagendes Schlagwort – für uns ist es eine Überlebensfrage“, beschrieb Mikk Sarv von der estnischen Dorfbewegung „Kodukant“, die dem Europäischen Netzwerk angehört. Seine Botschaft an den Kommissar: „Bei uns geht es mit den ländlichen Regionen steil bergab. Die Hauptstadt Tallinn frißt unser Land. Die Stadt bekommt alles, das Geld und die Menschen.“ Auf dem Land werde immer weniger erzeugt und investiert.
Die Osteuropäer leiden besonders unter den von der EU subventionierten Exporten. Ihre lokalen und regionalen Märkte gehen kaputt. „Die Agrarpreise sind im Keller: 20 Pfennig pro Liter Milch. Ohne Außenschutz werden unsere Bauern weg sein, bevor wir der EU beitreten“, so Sarv an Fischler. Verhalten sind darum seine Hoffnungen auf Fischlers Politik.
Im Westen hat sich Fischler mit mächtigen Interessengruppen angelegt: Copa, der Dachverband der Bauernverbände, befürchtet, daß die landwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit geschwächt werden könnte, wenn Milliarden Euro für kleine ländliche Akteure bereitgestellt werden. Diese Goliaths haben ihren eigenen Großanbau und -absatz im Blick und setzen alles daran, dem Helfer von David in die Parade zu fahren.
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