: Pfft machen und fit sein
■ Bei Nia geht es um mehr, als die Beine zu bewegen
Mollige in weiten T-Shirts, Superschlanke in bauchfreien Bu-stiers – viele Neue sind an diesem Abend in den Kurs mit dem rätselhaften Namen „Nia“ gekommen. „Keine Panik“, sagt die 28jährige Trainerin Miriam Wessels in die gespannten Gesichter, „ihr braucht nur euch selbst. Ich mache nur Bewegungsvorschläge, und ihr führt die Bewegung so aus, wie ihr könnt und wollt.“ Neue Töne im Eppen-dorfer Lady Fitness-Studio. Durch die gläserne Tür linsen neugierige Frauen, die gerade Pause vom Gerätetraining machen.
Sie sehen keine beturnschuhten Aerobic-Hüpferinnen, sondern barfüßige Frauen, die statt hektischer Übungen sehr runde Bewegungen machen. „Schöpft Wasser und gebt es wieder ab“, sagt die Trainerin, während sie den Arm von unten nach oben im Kreis führt. Und die Frauen schöpfen, die einen kraftvoll, die anderen bedächtig. „Atmet aus dem Rücken.“ „Pfft“ machen die Teilnehmerinnen. Untermalt von einer Musik mit weicher Frauenstimme und vollen Bässen.
Spargymnastik für Bewegungsfaule? Keineswegs. Die Frauen greifen immer wieder zur Wasserflasche. Besinnlicheren Atemübungen folgen Drehungen im Turbotempo, seitliche Karatetritte mit lautem „Ha-ha-ha“-Geschrei. Schließlich Beckenkreisen in Zeitlupe – „Spürt, wie über die Wirbelsäule die Energie nach oben geht“, sagt Miriam Wessel und knotet die auseinandergeflogenen Haare wieder zusammen. Nach einer Stunde, die Fenster beschlagen schon, der Schlußkreis. Mit geschlossenen Augen die Arme ausbreiten: „Ihr habt ein Recht, den Raum zu bekommen, den ihr braucht, seid euch dessen bewußt.“ Die Gesichter vor der Glastüre: ratlos.
Die Teilnehmerinnen aber sind hochzufrieden. „Das ist eine super Mischung“, sagt eine Krankengymnastin. Und eine Studentin: „Nie wieder Aerobic. Hier schwitzt man auch, ist aber nicht so fertig.“ Energiegeladen fühlen sie sich.
Die neue Sportart „Nia“ kommt aus den USA und ist eine Variante der „Body-and-Mind“-Programme, die dort seit einigen Jahren Furore machen. „Nia“-Erfinderin Debbie Rosas war zuvor Hardcore-Aerobic-Frau. Bis in ihre Stunden zwecks Ausdauertraining ein junger Tennisprofi kam, der nach drei Monaten über Knieschmerzen klagte. Die beiden arbeiteten ein neues Training aus. Oberstes Kriterium: Welche Bewegungen gehen mit Wohlbefinden?
Heraus kam ein Potpourri aus west-östlichen Bewegungslehren. Allerdings ließ sich Rosas eher vom Bewegungskonzept inspirieren: Aikido – Umwandeln der Energie eines Gegners; Jazzdance – hier bin ich, ich zeige mich; Teak Won Do – Raum behaupten, Gegner rausblocken.
Und sowas läßt sich in einem Fitneßstudio anbieten, wo es den meisten um schöner-besser-schlanker geht? „Ja“, sagt die lizensierte „Nia“-Trainerin Wessels, „denn viele, die lange ins Fitneßstudio gegangen sind, sind müde vom Nachmachen.“ Daher der Name: „Nia“ steht für Neuromuskuläre integrative Aktion – Bewegung mit allen Sinnen.
Manche Kursteilnehmer weinten nach der Stunde, erzählt Miriam Wessels, sie seien so gerührt, gerührt über sich selbst, über ihre Gefühle. Andere hätten anfangs große Schwierigkeiten mit der neuen Freiheit im Fitneß-Training: „Wenn du mir die Schritte nicht richtig zeigst, kann ich das nicht“, sagte mal eine Teilnehmerin wütend. „Sie hatte nicht verstanden, daß es nur um sie geht, nicht um die Schritte“, seufzt Wessels, die außerdem Diplom-Sportwissenschaftlerin und Gestalttherapeutin ist.
Aber was ist mit Fitneß, Abspecken, Muskelaufbau, was sich ja wohl die meisten BesucherInnen eines Studios erhoffen? Das biete „Nia“ auch, meint die drahtige Mutter von drei Kindern. „Dadurch, daß wir Phantasien dazunehmen wie 'sei ein Vogel' oder 'schieß wie eine Rakete in den Himmel', arbeitet der Körper ganzheitlich. Und er verbrennt dabei sogar mehr Fett als bei den herkömmlichen Workouts.“ Der Körper läßt sich nur trimmen, wenn Geist und Seele mitwollen, so das Credo der „Nia“-TrainerInnen.
Für Leute, die in Tanzstudios trainieren, keine Neuigkeit. Für Fitneßstudio-BesucherInnen schon. „Nia“, so scheint es, schließt die Lücke zwischen Tanz und Fitneß. Eintauchen in eine Wolke statt Bizeps-Curlen. Damit werde in Deutschland die Wellness-Welle eingeläutet, meint Miriam Wessels – mit Freude, Wohlbefinden, guter Musik und Individualität. Und zu dem Vorwurf, daß mit „Nia“ nur die lukrative Fitneßwelle am Laufen gehalten werden soll, meint sie voller Überzeugung: „Nein, die Zeit ist einfach reif dafür.“
Christine Holch
Miriam Wessels bietet am 15. November im „Kunstwerk“ in Altona einen Workshop an. Infos bei Miriam Wessels, Tel.: 51 49 36 32. Eine weitere Trainerin: Kirsten Johnson (Vitamed Fitness Club, Tel.: 53 32 03 70).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen