: „Deutsche Bundespest“
■ Vor Gericht: Ein Spaßmarkenbastler mit Vermögensvorteil / Verfahren eingestellt
Angeklagter: „Meiner Lauterkeit dürfen Sie sicher sein.“ Staatsanwalt: „Das glaube ich Ihnen nicht!“ Angeklagter: „Dann sind Sie versaut!“
Zwei Männer trafen gestern im Bremer Amtsgericht aufeinander, die eines verbindet: Sie sind pressegeil (darum sollen sie hier nur Herr W. und Herr G. heißen). Herr W. ist ein gerichtsnotorischer Unfugmacher; Herr G. ist der Staatsanwalt, der für den Buchstaben „W“ und somit immer wieder für Herrn W. zuständig ist.
Diesmal sollte sich Herr W. einen rechtswidrigen Vermögensvorteil in Höhe von DM 6,60 verschafft haben, zuungunsten der Deutschen Post AG. Der Richter hatte das lächerliche Verfahren erst gar nicht eröffnen wollen. Doch Herr G. („Ich bin schon auf Krawall gebürstet hergekommen“) war in der Laune, ein Exempel zu statuieren – Presse war da, Fernsehen war da, alles wunderbar.
Es hatte also Herr W., ein rüstiger Endfünfziger in Trachtenjacke, Spaßbriefmarken entworfen, drucken lassen und auf Briefe geklebt. Alles erlaubt. Darauf stand „Bundespest“ oder „Reprint“, das Motiv war mal eine Anti-AKW-Demo, mal die Werder-Mannen. Zum Vatertag hatte er eine Marke mit Pimmel gebastelt. Die Spaßmarken hatte er in Postämtern abstempeln lassen. Nun ja, wenn die Schalterbeamten so flüchtig arbeiten. Doch ein paar Briefe, an den Angeklagten selbst adressiert, waren auf den Postweg geraten und dortselbst abgefangen worden. Und schon roch es der Post und dem Staatsanwalt nach § 263 Strafgesetzbuch und rechtwidriger Vermögensvorteilsbeschaffung.
Der Angeklagte, ein arbeitsloser Opernsänger mit viel Freizeit, hatte schon mal bei Horten Briefmarken mit dem Konterfei seiner Kunden verkauft, für DM 19,80. Als Draufgabe hatte es einen 100er-Bogen Briefmarken à 1,- Mark gegeben. Selbstgemacht, versteht sich. Mit kleinen sachlichen Veränderungen ausgestattet. Das Geschäft brummte, bis sich ein Staatsanwalt daran die Zähne auszubeißen versuchte (richtig: Herr G.). Einmal wurde Herr W. auch bundesweit bekannt. Da gab er eine „Stasi-Telefonkarte“ heraus (die wird heute unter Brüdern mit 49 Mark gehandelt).
Die gestrige Verhandlung geriet zu einer sehenswerten Farce. Herr G. und Herr W. fielen sich gegenseitig ins Wort, das sie gern an die Presse richteten. Mehrfach zog der Angeklagte neue Falsifikate aus der Tasche und präsentierte sie stolz dem Gericht, woraufhin der Staasanwalt die Marken flugs und vergeblich zu beschlagnahmen versuchte. Es wurde deutlich, daß Herr G. Herrn W. mit aller Gewalt erschrecken wollte, Herr W. indes jeden Streich elegant und juristisch-terminologisch einwandfrei parierte. Selbst der Richter, dem das Verfahren durchaus entglitt, mußte mehrfach laut lachen. Der Staatsanwalt aber donnerte: „Wir können es nicht hinnehmen, daß Leute wie der Angeklagte den Wertzeichenkreislauf unsicher machen!“
Herr W. seinerseits behauptete unwiderlegbar, eine Bekannte hätte die fraglichen Briefe nicht, wie beauftragt, stempeln lassen, sondern eingeworfen. Wo der Vermögensvorteil lag, wenn die Briefe wieder bei ihm landeten, die er sonst ohnehin wieder mit nach Hause nahm, konnte ihm niemand erklären. Nachdem sich der Staatsanwalt geschlagene eineinhalb Stunden ins Zeug gelegt hatte, stimmte er resigniert der Einstellung des Verfahrens zu: „Sie werden weiter die Post narren, wo Sie sie narren können.“ Herr W.: „Sie glauben ja nicht, was für Ideen ich noch habe!“ Darauf Herr G., drohend: „Ich bin für den BuchstabenW und für Wertzeichen zuständig. Und bleibe es noch eine Weile.“ Nachher traten die Kontrahenten wortreich vor die Kamera des lokalen Fernsehens.
Burkhard Straßmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen