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Rechtslage steht später Genugtuung im Wege

■ Den Strafanzeigen deutscher Exilchilenen werden nur wenig Chancen eingeräumt

Hannover (taz) – Auch Bundesjustizministerin Herta Däubler- Gmelin hofft auf das britische Oberhaus. Darauf, daß die Lords dem Ex-Diktator Augusto Pinochet eine Immunität nicht anerkennen. Schon am Montag versicherte die Justizministerin, daß die Bundesregierung bei der Strafverfolgung des Ex-Diktators „selbstverständlich mitmachen“ werde.

Nun gibt es dazu Gelegenheit. Neun deutsche Staatsbürger haben bei den Staatsanwaltschaften in Berlin, Bielefeld, Hamburg, Hannover und Köln sowie direkt bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe Strafanzeige gegen Pinochet gestellt. Entführung, Freiheitsberaubung, Folter oder juristisch gesprochen „Körperverletzung im Amt“, aber auch Mord und Völkermord legen sie Augusto Pinochet zur Last.

Der Diplomingenieur Luis Berrios Cataldo, ein ehemaliger Exilchilene, seit langem deutscher Staatsbürger, hat etwa in seinem einseitigen Schreiben an die hannoversche Staatsanwaltschaft geschildert, wie er am 11. September 1973, am Tag des Putsches, im chilenischen Antofagasta verhaftet, verschleppt und gefoltert wurde. Sein Bruder Lincoy Berrios Cataldo, Führer einer Gewerkschaft in Santiago, sei am gleichen Tag verschleppt worden und ist „seitdem verschwunden“. Für den Mord an seinem Bruder und die anderen Straftaten sei der Ex-Diktator zumindest mitverantwortlich, heißt es in der Strafanzeige.

Immerhin will der hannoversche Oberstaatsanwalt Nikolaus Borchers das Schreiben des Diplomingenieurs Berrios „nicht mit leichter Hand vom Tisch wischen“. Dazu sei die ganze Angelegenheit zu ernst, sagt Borchers. Dennoch gibt sich der Oberstaatsanwalt äußerst skeptisch: Die Pinochet zur Last gelegte Freiheitsberaubung und die gefährliche Körperverletzung sei nach nunmehr 25 Jahren eindeutig verjährt. Und der Mord an dem Bruder falle aller Wahrscheinlichkeit nach nicht unter deutsches Recht. Die Tat sei im Ausland geschehen, das Opfer habe nie die deutsche Staatsangehörigkeit besessen.

Zuständig sei in diesem Falle die hannoversche Staatsanwaltschaft ohnehin nicht, sagt Borchers. Bei Straftaten im Ausland obliege es zunächst dem Bundesgerichtshof, eine zuständige Staatsanwaltschaft zu bestimmen. Unter diesen Umständen will Borchers den Bundesgerichtshof erst gar nicht bemühen, sondern die Anzeige mit einem Brief an Luis Berrios Caldo zu den Akten legen.

Anders beurteilt jedoch Rechtsanwalt Rainer Patz die Rechtslage in Sachen Augusto Pinochet. Patz spricht für die Opfer des Diktators, die in Deutschland ein Strafverfahren in Gang setzen wollen. „Verbrechen gegen die Menschlichkeit hat Augusto Pinochet begangen, und zumindest der Tatbestand des Völkermordes ist in jedem Falle auch nach deutschem Strafrecht zu verfolgen und verjährt nicht“, sagt der Kieler Anwalt.

Daß ein Augusto Pinochet, der des Völkermordes schuldig wäre, auch von der bundesdeutschen Justiz zu verfolgen wäre, bestreitet auch die hannoversche Staatsanwaltschaft nicht. Allerdings erfülle selbst eine äußerst brutale Verfolgung jedweder Opposition durch einen Diktator noch nicht den Tatbestand des Völkermordes. Dieser sei nur gegeben, wenn eine gesamte ethnische oder religiöse Gruppe Ziel staatlichen Terrors sei, sagt Oberstaatsanwalt Nikolaus Borchers. Jede der neun Strafanzeigen sei anders gelagert und müsse einzeln geprüft werden.

In Berlin hat jetzt etwa der ehemalige Exilchilene Gaston Alberto Gonzales Rojas, der seit 1997 deutscher Staatsbürger ist, Pinochet wegen versuchten Mordes angezeigt – und der verjährt nach deutschem Recht nicht. Gonzales Rojas hat einen Mordversuch chilenischer Soldaten überlebt. Sie forderten ihn und einen anderen Festgenommenen auf wegzulaufen und schossen auf die Flüchtenden. Der Mitgefangene wurde tödlich in den Kopf getroffen, Gonzales Rojas in den Oberschenkel. Jürgen Voges

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