: „Wirkliche Sicherheit wird es hier nie geben“
■ Warum ein jüdischer Jugendlicher aus Hamburg manchmal lieber woanders geboren worden wäre
Tobias Hansen (18) ist Vorsitzender der Jüdischen Organisation Norddeutscher Studenten (JONS) und Madrich (Jugendleiter) in der Jüdischen Gemeinde in Hamburg.
taz: Sie wollen auf dem Foto nicht zu erkennen sein. Warum?
Tobias Hansen: Aus Sicher-heitsgründen. Es gibt noch viel Antisemitismus – ich bin selbst auch schon beschimpft worden. Viele haben nichts dazugelernt. Und was früher die Juden waren, sind heute die Ausländer. Ich erinnere mich noch an die Bilder aus Rostock: Dieser aufgebrachte Mob, der das Haus in Brand steckt, und die deutsche Polizei macht nichts – da war ich unheimlich schockiert. Manchmal denkt man wirklich...
...daß die Deutschen, die keiner Minderheit angehören, halt so sind?
Damals habe ich das gedacht, ja. Auch heute glaube ich, daß die Menschen, die Juden und Ausländer vollkommen akzeptieren, die Ausnahme sind – auch, wenn es viele gibt. Aber wenn man 60 Jahre nach der Pogromnacht immer noch eingemauerte Hakenkreuze an Turnhallen-Wänden in Hamburg sieht, und keiner regt sich auf...
Haben Sie manchmal Angst, daß es hier nocheinmal ein faschistisches Regime gibt?
Angst nicht, aber ich halte es für möglich. Jeder jüdische Deutsche sollte jedenfalls immer einen gültigen Paß besitzen und möglichst noch ein Visum für ein anderes Land. Auf die Politiker können wir nicht vertrauen. Die reden nur und lassen es gleichzeitig zu, daß Parteien wie NPD und DVU legal sind. Aber auch die CSU darf ja öffentlich sagen: „Deutschland ist kein Einwanderungsland.“ Das ist doch ein Skandal.
Empfinden Sie die junge Generation als aufgeklärter?
Das hat weniger mit dem Alter als mit dem Umfeld zu tun. Es gibt viel Unwissenheit. Wenn wir zum Beispiel mit der JONS in den Schulen sind, fragen wir die Kinder, welchen Ausweis wir wohl haben. Da kommen Antworten wie „den jüdischen Ausweis, den Synagogen-Ausweis“. Meist nennen sie erst zum Schluß den deutschen.
Welchen Stellenwert hat für Sie Ihre deutsche Staatsangehörigkeit?
Ich bin zuerst Jude – der in Deutschland lebt. Aber es ist nicht mein Land. Manchmal wäre ich lieber woanders geboren, in Israel zum Beispiel fühle ich mich viel freier. Hier in Deutschland leugnen viele ältere Leute heute noch, daß sie jüdisch sind, weil sie Angst haben. Ich dagegen trage oft offen einen Davidstern als Kettenanhänger. Ich will provozieren und zeigen: Es gibt uns noch – und ich bin stolz, Jude zu sein.
Warum?
Weil unser Volk seit 5000 Jahren überlebt hat – trotz aller Verfolgung. Es gibt ein sehr starkes Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Juden in ganz Deutschland – das kommt auch durch das Gefühl des Ausgegrenztwerdens.
Was müßte passieren, damit jüdische Menschen hier wieder ohne Angst leben können?
Dazu bräuchte es ganz breite Veränderungen. Graue Wohnsiedlungen dürfte es nicht mehr geben, die Jugendlichen bräuchten eine bessere Ausbildung. Wenn die Menschen Perspektiven haben, sind sie nicht so anfällig für rechtsradikales Gedankengut. Aber eine wirkliche Sicherheit wird es hier niemals geben.
Fragen: Heike Dierbach
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