"Das Rädchen ein bißchen weiterdrehen"

■ Verstörender Freizeitpark Berlin: Frank Castorf inszeniert Tim Staffels Roman "Terrordrom" in der Volksbühne. Ein Gespräch mit Tim Staffel über das Schreiben von Theaterstücken und Romanen, über sein

Tim Staffel, Jahrgang 1965, studierte von 1987 bis 1991 Angewandte Theaterwissenschaft an der Universität Gießen. Seit 1993 lebt er in Berlin. Er hat Theaterstücke geschrieben und auch selbst inszeniert, zum Beispiel am Frankfurter TAT. In diesem Jahr erschien beim Zürcher Amman-Verlag sein Roman „Terrordrom“. Darin entwickelt Staffel aus verschiedenen Erzählperspektiven ein komplexes Handlungs- und Beziehungsnetz, das in ein finsteres Szenario mündet: Am Ende des Buches – also im Winter 2000 – wird der Regierungsbezirk Mitte zum kommerziellen Freizeitpark erklärt, in dem jedermann sich schwer bewaffnet bewegen und um sein Leben spielen kann. In Berlin inszenierte Staffel zuletzt im September eine Session bei „twenty minutes“ im Theater am Halleschen Ufer.

taz: Der Verlag hat „Terrordrom“ als eine „apokalyptische Vision zur Jahrtausendwende“ bezeichnet und damit dem Genre des utopischen Romans zugeordnet. Aber ist „Terrordrom“ nicht vielmehr ein Buch über die Großstadt – ein Berlin-Roman?

Tim Staffel: Mit der Genredebatte habe ich offen gestanden nichts am Hut. Es liegt mir fern, eigene Arbeiten in irgendeiner Weise zu kategorisieren. Der Bezeichnung „Großstadtbuch“ würde ich noch am ehesten zustimmen. Der ganze andere Kram von wegen „Vision“ oder „Apokalypse“ – das interessiert mich alles gar nicht. Natürlich ist es ein Großstadtroman, ganz einfach aufgrund der Lokalität. Und in diesem speziellen Fall ist es Berlin – wobei ich glaube, daß das trotzdem auf andere Städte übersetzbar ist. Aber für mich ist Berlin natürlich auch sehr repräsentativ für diese Republik.

Euphemistisch könnte man sagen, daß in dem Berlin von „Terrordrom“ ein rauhes Klima herrscht. Entspricht das Ihrer Alltagswahrnehmung?

Ja, natürlich. Für mich ist das keine Fiction, für mich ist das auch keine Vision, für mich ist das absolut der Realität entnommen. Und des Dichters Freiheit ist es, das Rädchen ein bißchen weiterzudrehen.

Sie haben sich ja nun nicht dadurch in Sicherheit gebracht, daß „Terrordrom“ erst in fünfzig Jahren stattfindet, sondern quasi übermorgen.

In der ursprünglichen Fassung war es tatsächlich übermorgen, ja, und dann kam der grandiose Vorschlag mit der Jahrtausendwende, was ja dann offensichtlich noch mehr poppt. Aber ob nun 2001 oder 1999 ist im Prinzip völlig egal.

Sie deuten es an: „Terrordrom“ ist Pop. Inwiefern?

Das Buch hat einfach was mit 'ner Alltagskultur zu tun. Das ist kein artifizielles Buch, und es hat viel mit Musik zu tun. Es folgt im Grunde genommen einem bestimmten Beat, ist in diesem Beat geschrieben, der auch auf ein bestimmtes Lebensgefühl rekurriert – von daher hat es möglicherweise auch was mit Pop zu tun.

In „Terrordrom“ werden verschiedene Formen von Gewalt aneinandergeschnitten: von der „Naturgewalt“ in Form des vereisten Berlins über Zivilisationsunfälle wie Gasexplosionen bis hin zu Attentaten, psychischer Gewalt und dem „young urban partisan“ in Gestalt des 16jährigen Felix. Das Ganze geschieht anscheinend ohne jeden Kommentar – oder ist diese zunehmende Anhäufung von Gewalt selbst der Kommentar?

Ob da der Kommentar drin ist, kann ich nicht entscheiden. Ich hasse das, wenn die Leute glauben, daß Autoren oder Kunst- oder Kulturschaffende die Pflicht haben, das moralische Gewissen für den Konsumenten zu spielen. Ich denke, dafür ist jeder selbst zuständig. Das einzige, was das Buch mit der – in Anführungsstrichen – Gewalt macht, ist, daß es bis zu einem gewissen Grad brutalisiert. Ich habe wenig Verständnis dafür, daß es immer heißt, der Staffel reitet so auf der Gewalt rum. Letztendlich halte ich das für eine sehr eingeschränkte Sichtweise, ganz einfach aufgrund der Tatsache: Wir leben nun mal in einer sehr gewaltsamen Gesellschaft. Wir alle sind ständig konfrontiert mit Gewalt, sowohl als Ausübende als auch als Opfer von Gewalt. Gewalt fängt nicht da an, wo die Faust in der Fresse landet, sondern schon viel früher, weshalb wir alle permanent in diesen Prozeß verwickelt sind. Insofern weiß ich nicht, weshalb die Leute alle so tun, als hätten sie damit nichts zu tun. Und: Ich bin nicht der Kommentator. Ich bin der Erzähler.

Sie leben seit fünf Jahren in Berlin. Was charakterisiert diese Stadt in Ihren Augen?

Was ich an Berlin bisher zumindest mochte ist einfach, daß es eine sehr ehrliche Stadt ist. Das bedeutet: Hier liegt sehr offen, wie kaputt die Leute sind in diesem Land. Der ganze Dreck und die ganze Scheiße, die ganze deutsche Mentalität in all ihren Auswüchsen präsentiert sich hier einfach sehr, sehr offen und ehrlich und wird nicht zugekleistert und verdeckt oder hinter irgendwelchen Fassaden versteckt. Wobei das jetzt ja mittlerweile kaum mehr zu behaupten ist. Solche Bauunternehmungen wie Potsdamer Platz zeigen natürlich an, daß auch hier das Zubetonieren stattfindet. Trotzdem nenne ich das einfach den Vorzug von Berlin, daß hier keine Zurückhaltung herrscht.

Aber man entscheidet sich natürlich auch immer dafür, wo man sich in dieser Stadt bewegt, was man sich anguckt und was nicht. Und es ist klar, daß die Leute, die in Nikolassee oder Wilmersdorf wohnen, bei „Terrordrom“ ganz empört finden: „Och, das ist doch aber gar nicht unser schönes Berlin!“ Mann kann halt auch weggucken.

Aber Sie schauen hin?

Natürlich. Ich bin ein Spitzenspaziergänger. Ich hab' fünf Jahre nichts anderes gemacht, als in dieser Stadt spazierenzugehen.

Kann das nicht ganz schnell zynisch werden, wenn die Repräsentation der „Scheiße“ etwas Ästhetisches gewinnt? Bei der Lektüre von „Terrordrom“ kann sich doch eine solche Faszination einstellen – nicht nur die Handlung, sondern auch einen ästhetischen Sog betreffend. Und die „Helden“ in Ihrem Buch erleben das offenbar auch so.

Ja. Ästhetisch dahingehend, daß es einfach fasziniert, weil es anders ist und man es erst mal nicht begreifen kann. Oder man kann es begreifen, aber man hat einfach nichts damit zu tun.

Jetzt hat Frank Castorf „Terrordrom“ an der Volksbühne inszeniert. Die Premiere ist am Donnerstag. Sind Sie daran in irgendeiner Weise beteiligt?

Mit der Inszenierung an der Volksbühne hab' ich eigentlich nichts zu tun, was ich aber auch sehr gut finde. Mir gefällt natürlich sehr, daß Castorf das macht. Da es sich ja nun um einen Roman und kein Theaterstück handelt, kann er eigentlich nur versuchen, wirklich eine völlig autonome Form zu finden, mit dem Text als Material umzugehen und daraus einen eigenen Theaterabend zu machen. Eine Eins-zu-eins-Auflösung würde überhaupt nicht funktionieren. Also ist das dann wirklich sein Ding und nicht meins. Aber ich mochte Castorfs Lesart des Buches sehr, weil auch er die Vision und den Fiction-Kram beiseite ließ und statt dessen behauptete, das sei das Berlin, in dem er leben würde, durch das er gehen würde. Das ist mir die liebste Lesart. Insofern haben wir uns da getroffen.

Sie haben aber schon selbst Theaterstücke geschrieben.

Es ist wirklich grotesk, daß ich sehr lange nur fürs Theater geschrieben habe und sich dafür eigentlich niemand sonderlich interessiert hat. Dann schreibt man einen Roman – und der kommt prompt aufs Theater. Was ich, wie gesagt, begrüße. Aber ich habe, als ich „Terrordrom“ geschrieben habe, mit Sicherheit nicht an Theater gedacht, weshalb ich auch jetzt keine große Lust gehabt hätte, auch noch selber eine Theaterfassung zu schreiben.

Wäre Ihre Haltung eine andere, wenn es um die Inszenierung eines Ihrer Theaterstücke ginge? Ihr Studienfreund René Pollesch zum Beispiel verweigert jede „Fremd- Inszenierungen“ seiner Stücke.

Was ich bei René verstehen kann, weil er's kongenial selber macht und bisher fast alle Versuche von anderen Leuten in die Hose gegangen sind, und zwar richtig. Der verfaßt nicht irgendwelche abstrakten Theatertexte, sondern schreibt die Inszenierung gleich mit, deshalb ist es eigentlich auch nur logisch, wenn er sie selber macht. Aber bei Pollesch habe ich schreiben gelernt. Wir haben beide in Gießen studiert, und als ich kam, war er schon zwei Jahre da und hatte da schon kräftig rumgemacht. Da habe ich mich dann irgendwann eingeklinkt und mir angeguckt, wie er das alles so macht. Bei dem habe ich eine Menge mitgekriegt.

Hat Sie die Uni in Gießen nicht direkt ans Theater getrieben?

Während des Studiums habe ich geschrieben und inszeniert, und ich dachte auch, daß ich das danach tun würde. Als sich dann aber herausstellte, daß Gießen einfach das Paradies war und daß man draußen in der bösen Welt ständig Füße lecken und Klinken putzen muß, habe ich einfach entschieden, daß ich darauf keinen Bock habe. Also diese Pseudo-Theaterwichtigkeit und Hierarchien, die gehen mir total auf den Keks, die Leute reden alle unglaublich viel, sind unerträglich selbstverliebt, eitel, neidisch und weiß der Himmel was. Ich meine, das ist in jedem Kulturbetrieb dasselbe, aber im Theater unerträglich. Interview: Eva Behrendt

„Terrordrom“ von Tim Staffel. Regie: Frank Castorf. Premiere: 12. November, 19.30 Uhr, Volksbühne