: Jerusalem: Bombe auf Bombe und Siedlung um Siedlung
■ Zwei Attentäter sprengen sich auf Westjerusalemer Markt in die Luft und verletzen 25 Menschen. Hamas bekennt sich zum Anschlag. Israel setzt Ratifizierung des Abkommens mit den Palästinensern aus und kündigt verstärkten Siedlungsbau an
Jerusalem (taz) – Die Logik ist immer dieselbe: Einem Terroranschlag folgt die Aussetzung des Friedensprozesses. So auch gestern nach dem Selbstmordanschlag mutmaßlicher Hamas-Attentäter auf einem Markt in West-Jerusalem. Das israelische Kabinett vertagte unverzüglich die Ratifizierung des Wye-Abkommens, die ohnehin schon über eine Woche hinausgezögert worden war, auf unbestimmte Zeit. Zuerst müßten die Palästinenser die „Infrastruktur des Terrors“ zerstören.
Zugleich kündigte ein Regierungssprecher an, daß der Siedlungsbau in Jerusalem und den besetzten palästinensischen Gebieten intensiviert werde. Und wie immer verlangten die Palästinenser dagegen eine zügige Umsetzung des Wye-Abkommens, um den Friedensprozeß voranzubringen und dem Terror den Boden zu entziehen. Die Aussetzung des Friedensprozesses spiele nur den Terroristen in die Hände, erklärte der palästinensische Verhandlungsführer.
Am Morgen hatten die beiden Attentäter am Eingang des Jehuda-Mahane- Marktes in West-Jerusalem eine Autobombe gezündet. Zwei Menschen kamen ums Leben, 25 wurden verletzt. Nach Angaben von Verteidigungsminister Mordechai handelt es sich bei den Toten um die Attentäter. In einem anonymen Anruf bekannte sich die radikalislamische Hamas- Organisation zu dem Attentat.
Auch die anderen Rituale glichen denen bei früheren Anschlägen. Aufgebrachte Israelis verprügeln arabische Arbeiter. Jugendliche rufen „Tod den Arabern!“. Die Regierungen in aller Welt, von den USA bis Rußland, verurteilen das Attentat als „feige“ und „niederträchtig“ und fordern zugleich eine schnelle Fortsetzung der Verhandlungen, um endlich Frieden zu bringen. Auch Palästinenserpräsident Arafat ließ den Anschlag von einem Sprecher scharf verurteilen. Und auch er forderte natürlich die schnelle Ratifizierung und Umsetzung des Wye-Abkommens, das einen weiteren israelischen Teilrückzug von 13 Prozent aus den besetzten Gebieten vorsieht.
Das einzige, was derzeit feststeht, ist, daß der Anschlag die Durchführung der Vereinbarungen des Wye-Abkommens um Tage, wenn nicht Wochen hinauszögern wird. Damit kommt Ministerpräsident Netanjahu den Siedlern und der israelischen Rechten entgegen, die erbitterten Widerstand gegen das Abkommen angekündigt und geleistet hatten. Zugleich erfüllt er damit, wenn auch ungewollt, die Forderungen von Hamas und anderen palästinensischen Hardlinern.
Jetzt bedarf es erneut amerikanischer Intervention, um das Mißtrauen zwischen beiden Seiten zu überbrücken. Die Israelis glauben, daß die Autonomiebehörde den Terror tatsächlich gar nicht bekämpfen will, und die Palästinenser glauben, daß Netanjahu eben weitere Teile der 1967 besetzten Gebiete nicht räumen will.
Georg Baltissen Tagesthema Seite 3
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