: „Kann mal passieren“
■ Geldbuße für Stationsarzt, der nach Operation verletzte Arterie übersah
Er war doch nur ein „kleiner Stationsarzt“, sagt Oberstaatsanwalt Manfred Wagner. Jung und unerfahren, habe der Mediziner übersehen, daß der Patient Erol Ögünc bei einer Herzoperation im Mai 1995 an einer Arterie verletzt worden war. Blut gelangte in den Bauchraum; Ögünc starb an den Folgen der Operation. Den Fehler des Sta-tionsarztes wertete die Staatsanwaltschaft nun als „geringe Schuld“ und stellte die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Mediziner des Jerusalem-Krankenhauses gegen 3000 Mark Geldbuße ein.
Daß man den Vorwurf der „fahrlässigen Tötung“ so aus der Welt räumen kann, schockiert den Anwalt der Ehefrau des Verstorbenen, Mülayim Hüseyin. „Sicher können Fehler passieren“, sagt er. „Aber die Aufgabe von Ärzten ist es, Gefahren vorzubeugen. Daran muß man ihre Arbeit messen.“
Das tat auch der medizinische Gutachter, den die Staatsanwaltschaft mit der Untersuchung des Falles beauftragt hatte. Er kam zu dem Ergebnis, daß „durch rechtzeitige medizinische Maßnahmen der Tod mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte abgewendet werden können“.
Heilungschancen hätten bestanden, führt der Experte aus, wäre der Patient mit Blutkonserven versorgt worden. Im Krankenhaus seien die offenbar jedoch nicht in ausreichender Menge vorhanden gewesen. Über vier Stunden lang wurde Ögünc deshalb nicht behandelt. Erst dann wurde er ins Krankenhaus Harburg verlegt – zu spät. „Dies ist völlig unverständlich“, so der Gutachter. „Blutkonserven sollten innerhalb von 30 bis 40 Minuten verfügbar sein, in Notfallsituationen schneller.“
Doch dafür, so Oberstaatsanwalt Wagner, sei der Stationsarzt allerdings nicht verantwortlich gewesen. Gleiches gelte für die Verletzung der Arterie: Erstens müsse dafür der operierende Herzchirurg geradestehen, zweitens „kann das passieren“. Der Stationsarzt hätte die Komplikationen nur erkennen und ein dritter Arzt sie behandeln müssen. Dem Teil des Gutachtens über die Blutkonserven habe er deshalb keine Bedeutung beigemessen, erklärte Wagner – und auch nicht recherchiert, welcher Arzt dafür die Verantwortung trage. „Liegen neue Verdachtsmomente vor, nehmen wir die Ermittlungen wieder auf.“ Elke Spanner
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