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Habibie spricht von Umsturzversuch

In Indonesien steigt nach den schweren Unruhen mit 15 Toten der Reformdruck auf Präsident Habibie und seinen Armeechef Wiranto. Die Proteste richten sich gegen die starke Rolle des Militärs in der Politik  ■ Von Sven Hansen

Berlin (taz) – „Schock, Trauer, Ärger“ – unter dieser Überschrift hat die englischsprachige Tageszeitung Jakarta Post gestern das indonesische Militär und insbesondere Verteidigungsminister und Generalstabschef Wiranto für die schweren Unruhen und Plünderungen der vergangenen Tage verantwortlich gemacht. „Viele wollen Wirantos Rücktritt“, schrieb die Zeitung. Der General war dazu vom Oppositionspolitiker Amien Rais öffentlich aufgefordert worden, dem sich gestern 21 Organisationen anschloßen. Die seit Tagen demonstrierenden Studenten rufen ab heute zum Generalstreik und zu dreitägiger Trauer auf. Sie wollen ihre Proteste fortsetzen, bis Habibies Regierung durch reformorientierte Oppositionspolitiker ersetzt wird.

Der 51jährige Wiranto, ein früherer Adjudant des Diktators Suharto und heute die wichtigste Stütze von Präsident B. J. Habibie, blockiert jeden Versuch, die politische Rolle des Militärs zu beschneiden. Am Freitag weigerte sich auch die 1.000köpfige „Beratende Volksversammlung“, die Macht des Militärs und die Zahl ihrer Sitze im künftigen Parlament deutlich zu reduzieren. Nachdem das Militär gewaltsam gegen rund 20.000 Demonstranten vorgegangen war, kam es am Freitag und Samstag zu den schwersten Unruhen seit dem Sturz Suhartos im Mai. Erneut wurden insbesondere chinesische Geschäfte zum Ziel von Plünderungen und Brandstiftungen.

Mindestens 15 Personen verloren bei den Ausschreitungen ihr Leben, über 200 wurden verletzt. Mindestens 12 Studenten wurden von Soldaten erschossen, die offiziell nur über Gummigeschosse verfügt haben sollen. Doch Augenzeugen berichteten, Scharfschützen der Armee hätten gezielt auf Studenten innerhalb des Campus der Atma Jaya Universität geschossen. Nachdem zuvor eine offizielle Untersuchung das Militär für die Unruhen im Mai verantwortlich gemacht hat, kursierten in Jakarta erneut Vermutungen, Militärkreise hätten die Unruhen inszeniert. Der Verdacht wird dadurch erhärtet, daß am Samstag eingesetzte Marinetruppen die Situation im Unterschied zu den zuvor stationierten Armeeeinheiten ohne Blutvergießen leicht unter Kontrolle bekamen.

Gestern blieb es in Jakarta ruhig. Die Innenstadt war fast menschenleer, an wichtigen Punkten patrouillierten Militärs, in einigen Vierteln selbstorganisierte Bürgerwehren. In dem zuvor von den Ausschreitungen betroffenen Norden und Osten der Stadt begannen Aufräumarbeiten. Präsident Habibie hatte am Samstag ungenannte Kreise beschuldigt, einen Umsturz inszenieren zu wollen. Ohne zwischen Randalierern und friedlichen Demonstranten zu unterscheiden, forderte er das Militär zu hartem Durchgreifen auf. Amnesty international forderte ihn daraufhin auf, er solle Zurückhaltung anordnen, statt auf Unterdrückung zu setzen. Ausgerechnet Expräsident Suharto empfahl Habibie, auf die Forderungen der Studenten einzugehen und sich für das harte Vorgehen der Armee zu entschuldigen.

Bereits am Samstag bemühten sich Studenten um ein Ende der Gewalt. Sie sind sich der Gefahr bewußt, daß ihr Protest für einen Militärputsch mißbraucht werden könnte, wenn es immer wieder zur Gewalt kommt. Dafür werden außer Teilen des Militärs oft die Bewohner von Armensiedlungen verantwortlich gemacht. Zu friedlichen Protesten kam es auch in Bandung und Surabaya. In Medan in Nordsumatra besetzten 5.000 Studenten am Samstag den Flughafen und forderten vergeblich den Transport nach Jakarta, um sich den dortigen Demonstranten anzuschließen. Kommentar Seite 12

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