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Von der Arbeitsbrigade zur Katastrophenhilfe

■ Der Hurrikan „Mitch“ gibt Soligruppen wie der Städtepartnerschaft zwischen dem Berliner Bezirk Kreuzberg und San Rafael del Sur in Nicaragua neuen Auftrieb. Um Politik geht es dabei kaum noch

Franz Thoma kommt nicht zur Ruhe. Vor allem jetzt, nach „Mitch“. Der 43jährige Ingenieur aus Berlin ist seit 1986 Entwicklungshelfer in San Rafael del Sur, einer Kleinstadt in Nicaragua. Nachdem der Hurrikan „Mitch“ weite Teile des Landes verwüstet hat, haben Thoma und seine fünf nicaraguanischen Helfer schnelle Hilfe organisiert. Zunächst einmal haben sie die Trinkwasserversorgung für die 13.000 Seelen-Stadt wiederhergestellt. Nun heißt es, Hunger, Cholera und Malaria bekämpfen.

Nach dem Hurrikan sind Thoma und sein Team mehr denn je auf Spenden angewiesen. Wieweit Thoma den Menschen in San Rafael helfen kann, hängt auch vom Berliner Bezirk Kreuzberg ab. Seit zwölf Jahren verbindet eine Städtepartnerschaft den Berliner Stadtteil mit San Rafael del Sur. Der Kreuzberger Verein wiederum unterstützt das Entwicklungshilfe-Büro von Thoma.

Es war das politische Programm der sozialrevolutionären Sandinisten, das Anfang der achtziger Jahre verschiedene Gruppen in Kreuzberg bewegte, sich in Nicaragua zu engagieren. 1986 schlossen sich unter anderen die Gewerkschaftsjugend und die Sozialistische Jugend „Die Falken“ zu dem „Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft mit San Rafael del Sur“ zusammen. Bislang konzentrierten sie ihre Entwicklungshilfe auf die ländliche Region im Südwesten des Landes. Doch der Verein hatte auch ein politisches Anliegen. „Wir wollten das Instrument der Städtepartnerschaft nutzen, um die politische Situation dort in Deutschland zu diskutieren“, erzählt der Vereinsvorsitzende Dieter Radde.

Vor acht Jahren jedoch ist das Interesse an dem Entwicklungsland stark zurückgegangen – eine Mitte-Rechts-Regierung hatte die Sandinisten abgelöst. „Das politische Modell, das wir unterstützen wollten, gab es nicht mehr“, erzählt Radde. „Nicaragua ist aus den Medien und aus dem Blickwinkel der Leute verschwunden“.

Auch bei der Kreuzberger Organisation machte sich das bemerkbar. Immer weniger kamen zu den Treffen der Städtepartnerschaft, zu Dia-Abenden und Vortragsreihen. Auch die Zahl der Freiwilligen, die jedes Jahr nach Nicaragua reisen und dort Schulen, Gemeinschaftshäuser, Trinkwasserleitungen und Brunnen bauen, ist zurückgegangen. Waren es zu Anfang etwa fünfzig Berliner pro „Arbeitsbrigade“, nehmen heute nur noch dreißig die Strapazen eines solchen Einsatzes auf sich. Radde verfolgt diese Entwicklung mit Sorge. „Die Menschen sind doch die gleichen geblieben, auch wenn sich das politische System geändert hat“, sagt er. „Wir haben deshalb weitergemacht“.

Der Verein hat heute 120 zahlende Mitglieder. Aber nur zwischen sieben und zwölf kommen regelmäßig zu den Donnerstagsversammlungen in die Admiralstraße 17. Seit der jüngsten Naturkatastrophe ist das anders. „Unsere Treffen sind wieder stark besucht“, sagt Radde. Er spricht von mehr als vierzig Männern und Frauen, die sich über die Wiederaufbauarbeiten in Nicaragua informieren wollen.

Und das Engagement geht noch weiter. „Die Spendenbereitschaft ist ebenfalls überraschend gut“, erzählt Radde. Innerhalb einer Woche seien mehr als 25.000 Mark zusammengekommen. Finanzhilfen gibt es auch vom Bezirksamt Kreuzberg: 30.000 Mark Soforthilfe, 70.000 Mark für die Vereinsarbeit im nächsten Jahr. Und die Senatswirtschaftsverwaltung leistet Soforthilfe in Höhe von 20.000 Mark.

Das Geld verwaltet der Verein – nicht die Regierung Nicaraguas. „Wir haben sonst keine Garantie, daß die Spenden auch ankommen“, sagt Radde. Mit diesem System wollen die Kreuzberger Korruption umgehen.

Mit den Spenden will Franz Thomas Team in Nicaragua Medikamente und Saatgut kaufen. Sein Büro hat Ingenieur Thoma direkt am Marktplatz von San Rafael del Sur – und vor der Tür das Elend. „Wenn die Bauern jetzt aussäen, könnten sie vor der Trockenzeit im Januar noch eine Ernte einbringen“, sagt Radde. Ansonsten drohe nach dem Sturm die Hungersnot. Mike Szymanski

Spendenkonto: Stichwort „Nothilfe“, Postbank Berlin, 100 100 10, Kontonummer: 464 805-104

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