piwik no script img

Debatte über Jugendkriminalität„Uns trifft es immer gleich hart“

■ Kids sauer über ausländerspezifische Polizeistatistik: „Wir gehören doch dazu“

„Im Bremer Süden geht die Jugendkriminalität deutlich zurück“, stellte der zuständige Beauftragte der Polizei gestern vor rund 100 SchülerInnen, PädagogInnen und SozialarbeiterInnen fest. Warum das so sei, wisse niemand genau. „Aber wenn Intensivtäter festsitzen, passiert automatisch weniger. Manche haben auch Freundinnen gefunden, andere mußten zum Militär.“

Doch im Publikum reagierte auf diese Meldung, die ja quasi aus dem Herzen der sozialen Brennpunkte Kattenturm und Huchting kam, kaum jemand. Vielleicht auch, weil die Jugendlichen das, was Erwachsene immer wieder – auch bei der gestrigen Debatte „Jugendkriminalität in der Schule“ im Rahmen der Jugendkulturtage vom Lagerhaus – problematisieren, als alltäglich erleben. Und weil sie verschiedene Übergriffe im Gruppenkontext, „Peter gegen Ali“ bewerten. „Erst wenn jemand direkt betroffen ist, merkt er plötzlich, daß es sowas wie Gewalt und Diebstahl an seiner Schule doch gibt“, stellte Sebastian Klembt von der Gesamtschülervertretung Ergebnisse einer kleinen Umfrage vor. „Solange macht jeder seins – und die meisten behaupten: An meiner Schule gibt es das kaum.“ Dabei würde Fahrraddiebstahl, Schließfach-aufbrechen oder Jacke-wegnehmen vom kollektiven Schülergewissen kaum noch als wirkliches Vergehen betrachtet – „so häufig ist das.“

„Ja, wenn nicht beim Jacke Wegnehmen beispielsweise, wo fängt denn dann für euch Kriminalität an?“, fragte Gernot Fleddermann, Leiter des Schulzentrums Pestalozzistraße die anwesenden Kids. „Beim Handy?“ Heraus kam: Je plastischer die Tätergruppe wurde – „die drei 18jährigen, die einen 14jährigen abziehen“ – umso ernster wurde die Tat genommen und als umso „feiger“ wurde sie bewertet. Dabei bekennt sich öffentlich niemand dazu, jemals Opfer geworden zu sein und als solches das miese Gefühl von Wehrlosigkeit und Ausgeliefertsein erlebt zu haben. Ohne die Moderation von Schulleiter Fleddermann, „viele kommen doch zu uns und bitten um Hilfe, weil sie Angst haben“, hätten die Kids vielleicht weiter geschwiegen. Doch dann brachte einer die Sache auf seinen Punkt: Kriminalität fängt da an, wo einer meine Würde beleidigt.“

Ein heikles Thema – denn ausländische Jugendliche sind laut Statistik als Täter überproportional vertreten. Viele von ihnen waren gestern bei der Diskussion und beschwerten sich darüber, daß sie ständig und oft vorschnell abgestempelt würden. „Bei Ladendiebstahl als Straftäter. Und bei jeder Gelegenheit als Ausländer. Dabei leben wir hier und wollen hier bleiben.“ Auch die Polizei zeige bisweilen wenig Verständnis. „Wenn ein Türke beim Klauen erwischt wird, nehmen die den gleich mit.“ Eine Erfahrung, die auch die Sozialarbeiterin im Neustädter Mädchentreff „Gewitterziegen“ unterstrich. „Dabei geht es Jugendlichen beim Ladendiebstahl doch vor allem darum, Grenzen erproben.“

Wie bei den Jugendlichen rissen an dieser Stelle die Gräben auch unter den erwachsenen Experten auf. Während der Jugendbeauftragte der Polizei Ralf-Gunter Pestrup, warnte, das „Einstiegsdelikt Ladendienstahl“ auf die leichte Schulter zu nehmen, „erst kommt der Ladendiebstahl, dann das geklaute Mofa, dann das Auto“, hielt Diplom-Kriminologe Olaf Emig dagegen: „Für diese Behauptung gibt es keine Beweise.“ Irgendwann würden die Jugendlichen meist wieder aufhören. Am heftigsten beklatschten die Jugendlichen gestern das übergreifende Statement: „Wer die Jugend als Sparschwein betrachtet, braucht sich über Kriminalität nicht zu wundern.“ ede

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen