: Ein Stück der großen, weiten Welt
Am Sonntag sollen in der Zentralafrikanischen Republik Wahlen stattfinden. Nichts Besonderes – hinge daran nicht die Glaubwürdigkeit der UNO in Afrika ■ Aus Bangui Dominic Johnson
Nachts gehören die Straßen von Bangui der UNO. Keine Seele regt sich, als die tschadische Blauhelmpatrouille um Mitternacht zur allnächtlichen Tour durch „ihr“ Stadtviertel antritt. Unter dem dunklen Neumondhimmel hallt leise von irgendwo ein wenig Tanzmusik. Sonst ist alles still.
Fast im Schrittempo rollen die vier UN-Wagen durch die Straßen, einer davon mit aufmontiertem Maschinengewehr auf der offenen Ladefläche. Vor der Einfahrt zur staatlichen Munitionsfabrik, hält Oberst Daoud an und läßt Tee kochen. „Hier war damals die Front“, sinniert er. „Von der anderen Straßenseite haben sie uns immer beschossen.“
1996/97 herrschte in der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik Bürgerkrieg. Eine Armeemeuterei wegen ausstehenden Soldes mutierte schnell zum Aufstand gegen die Regierung von Präsident Ange-Felix Patasse. Ein Jahr lang war die Stadt geteilt und wurde zum Kriegsschauplatz. Schließlich kam eine afrikanische Friedenstruppe, geführt von Gabun und Tschad, der Regierung zu Hilfe. Die sogenannte Misab organisierte nach einigen Feldzügen gegen die Aufständischen die Rückkehr der Meuterer in die Armee. Seit April 1998 ist eine UN-Blauhelmtruppe „Minurca“ an die Stelle der „Misab“ getreten. Die mittlerweile größte UNO-Mission in Afrika soll vor allem friedliche Parlamentswahlen gewährleisten, deren erster Durchgang für den kommenden Sonntag angesagt ist.
„Eigentlich gibt es kaum einen Unterschied zwischen Misab und Minurca“, meint Daoud, der in beiden Truppen gedient hat. „Außer daß wir diesmal die Einsatzregeln respektieren müssen.“ Tatsächlich hat die knapp über 1.600 Mann starke Blauhelmtruppe, in der Frankreich und seine afrikanischen Verbündeten wie Tschad, Gabun und Elfenbeinküste die führende Rolle spielen, zum ersten Mal seit Jahren Frieden in die Straßen von Bangui gebracht. „Die Minurca“, sagt Bariyu Adeyemi, Berater des UN-Sonderbeauftragten Oliyemi Adeniji, „gilt als Symbol der Sicherheit im ganzen Land. Es gibt die Angst, daß ohne eine solche Streitmacht das Land im Chaos versinkt.“ Das ist nicht nur Eigenlob. Die UN-Soldaten schießen nicht herum, beklauen die Leute nicht und bringen ein Stück große, weite Welt in die zentralafrikanische Hauptstadt. „Wir hoffen, daß die UN-Kräfte Erfolg mit ihrer Mission der Versöhnung haben“, sagt Abbé Jean-Louis Yerima Banga, Gemeindepfarrer der Kathedrale von Bangui. „Daß eine ausländische Streitmacht hier ist, heißt, daß bei uns etwas nicht stimmt.“
Schuld an allem hat immer die Regierung
Es stimmt vieles nicht in der Zentralafrikanischen Republik. Das Land, wo sich 3,4 Millionen Einwohner auf fast der doppelten Fläche Deutschlands verlieren, ist fruchtbar und reich an Bodenschätzen, gehört aber zu den ärmsten der Erde. Die traditionellen Exportsektoren Diamanten, Gold, Kaffee, Baumwolle sind im Niedergang oder werden durch hemmungslosen Schmuggel am Staat vorbei ausgebeutet. Die Gehälter im öffentlichen Dienst sind derzeit zehn Monate im Rückstand. Die staatlichen Schulen haben deshalb dieses Jahr nach den Sommerferien nicht mehr aufgemacht. In Bangui, wo der Bürgerkrieg 90 der 140 Privatunternehmen zerstörte, sind weite Stadtviertel nichts als Ansammlungen von Lehmhütten im Schlamm, zwischen denen sich an den Ausfallstraßen zerfallene Staatsämter voller Einschußlöcher aneinanderreihen. Am solidesten erscheinen noch die weißen griechischen Säulen, die „Kaiser“ Bokassa in den 70er Jahren im Zentrum aufstellen ließ.
Für den desolaten Zustand des Landes wird natürlich immer die jeweils amtierende Regierung verantwortlich gemacht. In den 70er Jahren war es der megalomane Jean-Bedel Bokassa, in den 80er Jahren war es Diktator André Kolingba, und nun trifft es Präsident Ange-Felix Patasse und seine „Befreiungsbewegung des Zentralafrikanischen Volkes“ (MLPC), die 1993 in demokratischen Wahlen Kolingba besiegte und seitdem durch ungehemmten Klientelismus das Land in den Bürgerkrieg trieb. „Die Leute haben die Schnauze voll“, sagt Jean-Claude Gouandija, Vizepräsident der oppositionellen „Patriotischen Volksfront“ (FPP). „Es gibt so viel Elend, und gleichzeitig führen die Reichen ganz ungeniert ihren Wohlstand aus beiseite geschafften Gütern spazieren.“
Gouandija ist gleichzeitig Arbeitsminister in der Allparteienregierung, die nach Ankunft der Misab-Friedenstruppe 1997 gebildet wurde. Mit den kommenden Parlamentswahlen wird nun wieder politische Normalität einkehren: Die Mehrheit regiert dann allein. Selbstverständlich geht die zersplitterte Opposition davon aus, daß sie gewinnt – ob FPP oder Kolingbas Partei RDC. „Die RDC wird die Mehrheit bekommen“, behauptet Parteisprecher Gabriel Danzi, der Exdiktator Kolingba als „Mann des Friedens“ lobt. „Wir werden gewinnen“, sagt FPP-Minister Gouandija, der von der Notwendigkeit einer „Veränderung“ spricht. Aber auch die herrschende MLPC ist extrem siegessicher. „Wir haben noch nie verloren!“ brüstet sich Wahlkampfleiter Edouard Koyambounou und erklärt: „Wir sind seit 1979 für Veränderung.“ Bei soviel Veränderungswillen kann die „Sozialdemokratische Partei“ (PSD) in ihrem Wahlspot im Radio nur noch den Slogan aufbieten: „Verändern wir die Veränderung!“
Unabhängige Beobachter wagen keine Prognose über den Wahlausgang. Sicher sind nur die Unregelmäßigkeiten: Wähler, die mehrfach abstimmen, und andere, denen ihr Stimmrecht verweigert wird. Arbeitsminister Gouandija zeigt bereitwillig seine zwei Wahlkarten vor, die ihn zur Stimmabgabe in zwei Stadtvierteln berechtigen – am gegenwärtigen und am vorherigen Wohnsitz. „Meine Tante hat auch zwei Karten“, sagt Gouandija. „Und mein Kabinettschef gar keine.“
Für solche weithin bezeugten Unregelmäßigkeiten machen viele Politiker die staatliche Computerbehörde ONI verantwortlich, die die Wahlkarten druckt. Von da ist es nur ein kleiner Schritt zu dem Vorwurf, staatliche Stellen wollten die Wahl sabotieren, um entweder durch Fälschung zu gewinnen oder bei einer Niederlage der MLPC Protest einlegen zu können. Jeder weiß, daß nach dem ersten Wahlgang eine brenzlige Situation eintreten könnte.
Hier wäre nun wiederum die UNO-Truppe gefragt. Eine erfolgreiche Wahl in der Zentralafrikanischen Republik ist Testfall für die Fähigkeit der UNO, bei der Konfliktlösung in Afrika zukünftig wieder eine Rolle zu spielen.
Aber UN-Sonderbeauftragter Adeniji will von allen Problemen nichts wissen. Schlechte Verteilung der Wahlkarten? „Das ist Sache der Wahlkommission.“ Verkauf von Wahlkarten? „Gerüchte.“ Presseberichte über Manipulationen? „Es ist nicht unsere Sache, alles zu verfolgen, was die Presse sagt.“ Bewaffnete Zusammenstöße im Osten des Landes? „Davon weiß ich nichts, aber so was kommt vor in Wahlkämpfen.“ Und wenn es nach den Wahlen Probleme gibt? „Wir helfen den Zentralafrikanern, die Ordnung wiederherzustellen“, sagt Minurca-Militärchef Barthelemy Batanga. Adeniji präzisiert: „Die Minurca ist nicht dazu da, an die Stelle der amtierenden Regierung zu treten. Sie ist dazu da, bei Bedarf die Sicherheitskräfte zu verstärken.“
Wenn nichts passiert, ist alles gut gelaufen
Das entspricht nicht so richtig dem UN-Mandat, wonach die Minurca alleinverantwortlich für die Sicherheit in Bangui ist und darüber hinaus die zentralafrikanischen Streitkräfte umstrukturiert – in der Zwischenzeit darf zum Beispiel die Präsidialgarde nicht bewaffnet herumpatrouillieren. Aber der Interpretationsspielraum ist nicht das einzige Problem mit der UNO- Mission. Obwohl sie mittlerweile Truppen in fünf Provinzorte geschickt hat, um die Wahlen zu sichern, gilt ihr Sicherungsauftrag nur in der Hauptstadt, nicht im Rest des Landes.
Die UNO soll illegale Waffen einsammeln, die seit dem Aufstand von 1996/97 im ganzen Land zirkulieren – aber bis heute bleibt über die Hälfte der damals aus den Kasernen entwendeten leichten Waffen unauffindbar. Die Minurca-Verantwortlichen beklagen, daß ihr Mandat Ende Februar 1999 auslaufen soll – also vor den Präsidentschaftswahlen im September und so früh, daß die gewünschte Umstrukturierung der zentralafrikanischen Streitkräfte nicht mehr funktionieren kann.
Die beschränkt sich ohnehin in der Praxis auf gemeinsame Patrouillen, zu denen die zentralafrikanische Armee Soldaten abstellt. Als sich die Zentralafrikaner kurz vor Mitternacht im UN-Camp sammeln, sehen sie aus wie ungezogene Schulkinder beim Nachsitzen: Sie versuchen nicht einmal, sich ordentlich aufzureihen, tragen zusammengewürfelte Uniformen und senken den Blick, wenn der tadellos hergerichtete Kommandant aus Senegal sie einteilt. „Wir wissen nicht wirklich, was sie denken“, gibt ein burkinischer Kommandeur zu. „Es sind jeden Tag andere.“ Und es sind zu wenige: Für den Tschadier Daoud sind am nächsten Tag nur zwei übrig.
Aber selbst Daoud gibt zu, daß die Minurca-Fahrten durch Bangui vor allem symbolische Bedeutung haben: Man will Präsenz zeigen. Daß nichts passiert, ist der Erfolg. Aber dann passiert doch noch was. In Kpetene meldet ein aufgeregter Anwohner den Blauhelmen zwei Schüsse. Die Militärwagen biegen sofort ein in das nachtstille Gewirr von engen Gassen und Hütten und rumpeln so lange durch den Schlamm, bis der Weg im Sumpf endet. Unverrichteter Dinge machen sie kehrt. Auf dem Rückweg brennt in den kleinen Lehmhütten plötzlich überall Licht. Bangui ist still, aber es schläft nicht.
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