piwik no script img

PKK-Chef auf freiem Fuß Bonn will keine Auslieferung

■ Römisches Gericht verfügt die Haftentlassung des PKK-Führers gegen milde Meldeauflagen. Unmittelbar zuvor gab die deutsche Regierung bekannt, die Auslieferung des in Deutschland per Haftbefehl Gesuchten vorerst nicht zu betreiben

Rom/Berlin (taz) – Mit einer unerwarteten Entscheidung hat der Appellationsgerichtshof in Rom den vor neun Tagen bei seiner Einreise verhafteten Kurdenführer Abdullah Öcalan aus der Haft entlassen. Öcalan darf sich frei in Rom – oder einer anderen Stadt seiner Wahl – bewegen, diese jedoch nicht ohne Erlaubnis der zuständigen Behörden verlassen. Er muß sich einmal wöchentlich bei der Polizei melden. Öcalan hat Quartier im Appartement eines Gefolgsmanns genommen.

Wie der Zufall so spielt, hatte nur wenige Minuten bevor diese Entscheidung bekannt wurde, der Bonner Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye erklärt, das Auslieferungsersuchen aufgrund eines deutschen Haftbefehls werde zurückgestellt. Die Bundesregierung wolle damit den Bemühungen Italiens – wo Öcalan um Asyl ersucht hat – und der Türkei, die energisch auf seine Auslieferung drängt, Rechnung tragen. Der Zwist zwischen Italien und der Türkei wird sich nach dem Richterspruch verschärfen. In einer ersten Reaktion bemängelte der türkische Botschafter in Rom, die Entscheidung entspreche der bisherigen italienischen Haltung, jeden Ermessensspielraum immer zugunsten Öcalans auszulegen.

Die römischen Richter waren nicht einmal, wie weithin erwartet, dem Antrag des Generalstaatsanwaltes gefolgt, der die Beibehaltung einer „engeren“ Überwachung etwa in Form des Hausarrests gefordert hatte, weil die Öcalan sowohl von der Türkei als auch von Deutschland zur Last gelegten Verbrechen „sehr gravierend“ seien: Da eine Auslieferung in die Türkei wegen der dort möglichen Todesstrafe laut italienischer Verfassung nicht in Frage komme, so die Richter, Deutschland aber bisher keinen Auslieferungsantrag gestellt habe, gelte es, in Italien lediglich über das Paßvergehen Öcalans sowie seinen Asylantrag zu entscheiden. Öcalan war mit falschen Papieren eingereist. Dafür aber reiche eine ladungsfähige Adresse und eine lockere Überwachung, um eine unerwünschte politische Betätigung des Kurdenführers zu verhindern.

In italienischen Regierungskreisen ist die Entscheidung des Gerichts mit Erleichterung aufgenommen worden – sie erübrigt eine politische Entscheidung, die das Verhältnis zur Türkei noch dramatischer zugespitzt hätte. Ministerpräsident Massimo D'Alema hatte alle diplomatischen Hebel in Bewegung gesetzt, um die Vorwürfe der türkischen Regierung, Italien mache sich mit Terroristen gemein, abzuwehren: Das Europaparlament hatte sich denn auch einmütig hinter Italien und seine Auslieferungsverweigerung gestellt, doch „hausintern“ fürchtet ein Teil der Wirtschaft nun den angedrohten Boykott italienischer Waren in der Türkei.

Italiens Außenminister Dini warnte Ankara gestern denn prompt: Eventuelle türkische Vergeltungsmaßnahmen richteten sich nicht nur gegen Italien, sondern stellten eine „Aggression gegen ganz Europa“ dar. Italien sei ein „zivilisiertes Land“; Öcalans Fall werde von der Justiz ohne Einmischung der Politik behandelt.

Zunächst hatte Regierungschef D'Alema, um seine „freundschaftlichen Beziehungen“ zu Istanbul zu zeigen, sogar angekündigt, kommende Woche zum Europacup-Spiel von Juventus Turin in die türkische Hauptstadt zu fahren. Erst danach war seinen Beratern klar geworden, daß dies just der Tag sein würde, an dem das türkische Parlament über den Mißtrauensantrag gegen den türkischen Regierungschef Yilmaz abstimmt, und so wurde die Reise wieder abgesagt. Die italienische Opposition, die an sich mit der Nichtauslieferung einverstanden ist, aber die Frage einer „bereits vorher heimlich getroffenen Absprache mit Öcalan“ erhellen möchte, spottet nun über die „Fußballerdiplomatie“ D'Alemas, „die offenbar erneut ein Eigentor erzielt hat“. Werner Raith/ci

Berichte Seite 2, Kommentar Seite 12

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen