: In der Sache „Entführung gegen Entführung“
■ Bundesverfassungsgericht fordert in deutsch-französischem Elternstreit neue Entscheidung
Freiburg (taz) – Kindesentführung lohnt sich manchmal doch. Dieses bedenkliche Signal gab gestern der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts. Die in einem Sorgerechtsstreit mehrfach entführten Kinder Caroline (4 Jahre) und Matthias (8 Jahre) aus Niedersachsen dürfen vorerst bei ihrem Vater in Kirchdorf (Kreis Diepholz) bleiben.
Der Vater, ein hoher Kommunalbeamter, hatte im August 1989 eine französische Studentin geheiratet, die Ehe scheiterte jedoch nach einigen Jahren. Im Rahmen des Scheidungsverfahrens konnten die Kinder zuerst bei der Mutter bleiben, die versprach, Deutschland bis zum Ende des Sorgerechtsverfahrens nicht zu verlassen. Einige Monate später, im Sommer 1997, zog sie dann aber doch eigenmächtig mit den Kindern nach Frankreich. Solche grenzüberschreitenden Kindesentziehungen versucht jedoch ein völkerrechtlicher Vertrag, das sogenannte Haager Übereinkommen, zu unterbinden.
Nach diesem Abkommen hätten die französichen Gerichte eigentlich dafür sorgen müssen, daß die Kinder zurückgebracht werden. Sie beriefen sich aber auf eine Ausnahmebestimmung im Abkommen, wonach eine „unzumutbare Lage“ der Kinder verhindert werden müsse. Diese französischen Gerichtsentscheidungen wollte der Vater nicht akzeptieren und beauftragte ein Münchner Sicherheitsunternehmen, die Kinder zu holen. Ein fünfköpfiges „Kommando“ setzte den Auftrag auf spektakuläre Weise um. Es stoppte auf offener Strecke den Wagen der Frau, entriß ihr die Kinder und fuhr mit ihnen davon.
Im Gegenzug beantragte nun die Französin bei deutschen Gerichten eine Rückführung der entführten Kinder und hatte beim Oberlandesgericht (OLG) in Hamm auch Erfolg. Kurz vor der Zwangsvollstreckung im Juli dieses Jahres versteckte der Vater die Kinder jedoch in der Lüneburger Heide und erreichte über seinen Anwalt eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts.
Nun hat der Zweite Senat das Hammer Urteil endgültig aufgehoben. Zwar gelte das Haager Übereinkommen auch bei mehrfachen Entführungen, so Karlsruhe, hier aber hätte das konkrete „Kindeswohl“ genauer ermittelt werden müssen. Das OLG hatte dagegen auf eine Anhörung der Kinder verzichtet, weil diese „unter dem starken Einfluß des Vaters“ stünden.
Nun muß das Hammer Gericht erneut über den Fall entscheiden. Zur Auflage machte Karlsruhe, daß die Kinder von einem unabhängigen „Verfahrenspfleger“ vertreten werden. Beide Eltern hätten durch ihr bisheriges Verhalten gezeigt, daß sie vor allem ihre eigenen Interessen verfolgten. Wie das Verfahren letztlich ausgeht, ist damit noch völlig offen. Auch in Frankreich ist der Rechtsweg noch nicht abgeschlossen. (Az.: 2 BvR 1206/98) Christian Rath
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