Dem Wohnen untergeordnet

Das Bauhaus in Weimar und später in Dessau gilt als Prototyp einer modernen Hochschule für Gestaltung. Frauen allerdings konnten hier nur studieren, wenn sie sich in der Frauenklasse einschrieben. Das bedeutete in der Regel: wenn sie eine Ausbildung in der Weberei absolvierten. Die Studentinnen arrangierten sich mit der Notlösung – und die anfangs eher ungeliebte Bauhausabteilung sorgte in der industriellen Textilfertigung für wichtige Impulse  ■ Von Reinhard Krause

Das Urteil über die Farblehre des Bauhauses fiel vernichtend aus. „Der Würfel war Trumpf, und seine Seiten waren gelb, rot, blau, weiß, grau, schwarz. Das Quadrat war rot. Der Kreis war blau. Das Dreieck war gelb“, mokierte sich Hannes Meyer, als er 1929 zum Direktor des Bauhauses in Dessau ernannt wurde. Schärfer noch geißelte er die angewandte Bauhausästhetik: „Man saß und schlief auf der farbigen Geometrie der Möbel. Man bewohnte die gefärbten Plastiken der Häuser. Auf deren Fußböden lagen als Teppiche die seelischen Komplexe junger Mädchen. Überall erdrosselte die Kunst das Leben.“

Heute wird alles, was je zum Bauhaus auch nur entfernt in Verbindung stand, als Bestandteil der klassischen Moderne verehrt – ob es sich nun um Möbel, Fotografien oder Tapeten handelt. Selbst die künstlerisch gestalteten Lebkuchen einiger Bauhäuslerinnen sind inzwischen in der Fachliteratur gewürdigt worden. Seelische Komplexe hin, gestalterische Regelgläubigkeit her – gegenwärtig erleben die Erzeugnisse der Bauhausweberei eine regelrechte Hochkonjunktur. Nach der letztjährigen Dessauer Ausstellung über die Bauhausweberin Gunta Stölzl zeigt das Bauhaus-Archiv in Berlin zur Zeit einen umfassenden Rückblick auf die Webwerkstatt des Bauhauses.

Auch wenn das Bauhaus heute geradezu als Blaupause für alle nachfolgenden Designakademien gilt – an der Geschichte seiner Studentinnen wird deutlich, daß gesellschaftlicher und technischer Fortschritt im zwanzigsten Jahrhundert nicht immer synchron verliefen. Dabei begann die Geschichte des Staatlichen Bauhauses Weimar im Sommersemester 1919 mit einem Überhang an weiblichen Studenten – eine Folge des erst seit wenigen Monaten beendeten Ersten Weltkriegs. Im Lauf der nächsten Jahre wurde der Frauenanteil auf ein Drittel der Studierenden gesenkt – auf Druck von Bauhausdirektor Walter Gropius, der befürchtete, daß seine Schule in den Ruf einer traditionellen Kunstgewerbeschule geraten könnte.

Im April 1919 war noch die Gleichstellung von männlichen und weiblichen Studenten am Bauhaus festgeschrieben worden. „Aufgenommen wird jede unbescholtene Person ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, deren Vorbildung vom Meisterrat des Bauhauses als ausreichend erachtet wird“, hatte es im ersten Bauhausprogramm geheißen. Von wirklicher Gleichbehandlung konnte freilich kaum die Rede sein, denn die Bauhaus-Satzung sah eine traditionelle Ausbildung vom Lehrling über den Gesellen zum Jungmeister vor – und ließ unberücksichtigt, daß Frauen von den zuständigen Handwerkskammern gar nicht zur Gesellenprüfung zugelassen wurden. Eine Karriere am Bauhaus war für Frauen somit nicht möglich.

Das Resultat der am Bauhaus viel diskutierten „Frauenfrage“ bestand in der Einrichtung einer Frauenklasse im Jahr 1920; die Aufsicht wurde ausgerechnet der Weberei übertragen. Nur wenigen Bauhäuslerinnen gelang es, sich in anderen Werkstätten einen Platz zu erobern. Im Grunde sah man in der Weberei ein Relikt des als anachronistisch geschmähten Kunstgewerbes: eine brotlose Kunst für dilettierende Frauen. „Lassen wir die Frauen Teppiche knüpfen, Stoffe weben, färben, drucken, malen“, hatte der Leiter der Buchbinderwerkstatt, Otto Dorfner, gesagt, „so werden sie eine brauchbare und produktive Kraft am Bauhaus darstellen, mit deren Erzeugnissen der Bau behaglich ausgestattet werden kann.“

Eine Auflösung der Weberei stand trotz der Geringschätzung nie zur Diskussion; ein Bauhaus ohne Frauen hätte am avantgardistischen Selbstverständnis gekratzt. Durch den Wegfall der Weberei wären zudem auch die Studentenzahlen drastisch verringert worden: Immerhin waren fast alle Bauhausfrauen – mithin ein Drittel – in dieser zunächst eher ungeliebten Abteilung eingeschrieben.

Eine der schillerndsten Personen der Bauhausgeschichte war die erste Werkmeisterin der Weberei, Helene Börner. Bereits unter Henry van de Velde, dem Leiter der Kunstgewerbeschule Weimar, hatte sie die Weberei geleitet – ein Umstand, der ihr mehr Vorbehalte als Anerkennung bei den Studentinnen einbrachte. Denn mit van de Velde verbanden die BauhäuslerInnen die überholte Jugendstilästhetik. Helene Börner an die Seite gestellt war Georg Muche als Formmeister und künstlerischer Leiter der Werkstatt – ein Mann, der betonte, er werde nie einen Faden auch nur in die Hand nehmen.

Durch den für alle Studenten verbindlichen Vorkurs unter der Leitung von Johannes Itten und die Farblehre von Paul Klee geschult, brannten die Studentinnen auf Farb- und Materialexperimente, mochte die Werkmeisterin noch so sehr auf die Einhaltung von Mindeststandards der Webtechnik pochen. Es sei eine Eigenart der Bauhäusler, schrieb sie 1924 in einem Brief an die Bauhausleitung, „jede noch so sanfte handwerkliche Beschränkung als unerträglichen Zwang zu empfinden“. Die Resultate setzen heute mehr in Erstaunen als in Entzücken. Vor allem bei den künstlerischen Einzelstücken dominieren die Zickzackmuster des Expressionismus und verraten eine gewisse Mutwilligkeit gegenüber den formalen Gestaltungsmöglichkeiten von Kett- und Schußfäden.

Eine stärkere Ausrichtung an der Funktionalität eines Gewebes erfolgte erst gegen Mitte der zwanziger Jahre – ironischerweise nach dem 1925 erfolgten Umzug des Bauhauses von Weimar nach Dessau und dem Ausscheiden von Helene Börner. An ihre Stelle trat Gunta Stölzl, eine Bauhausstudentin der ersten Stunde und eine der ersten, die von der schließlich doch eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machte, einen Gesellenbrief als Weberin zu erlangen. Obwohl selbst von zurückhaltendem Wesen, stand sie im Zentrum der einzigen offenen Revolte der Bauhausgeschichte: Die Studentinnen der Weberei forderten Stölzls Einsetzung auch als Formmeisterin – und setzten sie durch. 1927 trat Stölzl die Nachfolge des zurückgetretenen Muche an. Allerdings zu deutlich schlechteren Vertragsbedingungen als ihr Vorgänger.

Gunta Stölzls Aufstieg von der Studentin zur Werkstattleiterin ist um so bemerkenswerter, als es sonst nur zwei Möglichkeiten gab, als Frau am Bauhaus zu reüssieren. Entweder, so Anja Baumhoff im Berliner Ausstellungskatalog, mußte eine Bauhausstudentin von einem der Meister protegiert werden – Marianne Brandt leitete auf Vermittlung von Laszlo Moholy- Nagy für ein Jahr die Metallwerkstatt – oder ihn heiraten. Die Meistergattinnen betätigten sich nach ihren Eheschließungen allerdings meist nicht mehr in ihrem ursprünglichen Metier und arbeiteten nur noch in loser Verbindung mit dem Bauhaus zusammen. So erwarben sich etwa Lucia Moholy und Gertrud Arndt einen Ruf als Fotografinnen.

Unter Gunta Stölzl verlagerten sich die Experimente mehr auf die Kombination unterschiedlicher und zum Teil neuartiger Materialien wie Kunstseide und Zellophan. Speziell für die Stahlrohrmöbel aus der Metallwerkstatt des Bauhauses entwickelte die Bauhausweberei einen berühmt gewordenen, sehr strapazierfähigen Stoff aus „Eisengarn“, der nicht aus Metallfäden, sondern aus paraffinierter Baumwolle bestand. In der Webwerkstatt trat nun die Arbeit an künstlerischen Einzelstücken allmählich hinter die Entwicklung von Strukturstoffen zurück, die als Meterware entworfen und in einer neu eingerichteten Produktivwerkstatt hergestellt wurden. Auf diese Weise sollten auch Rentabilitätsgesichtspunkte stärker Berücksichtigung finden.

Maßgeblich beteiligt an dieser Entwicklung zur industriellen Massenproduktion war die Weberin Otti Berger. Anders als Gunta Stölzl erkannte sie sehr rasch in den noch von Muche angeschafften Jacquard- Webstühlen die Möglichkeit zum Entwurf von Musterstoffen für die Industrie. Tatsächlich hätte die Bauhauswerkstatt bei längerem Bestand als Impulsgeberin für die Industrie eine ähnlich wichtige Rolle spielen können, wie es die Metallwerkstatt bereits seit längerem tat. Die Zeiten wenig zielorientierter Experimente jedenfalls waren in Dessau vorbei – oder, wie es die Studentin Helene Schmidt-Nonné in einem 1926 erschienenen Artikel formulierte: „Eine freiwillige Beschränkung des Ausdrucksvermögens setzt Disziplin voraus.“ Auch Gunta Stölzl distanzierte sich von den verspielten Einzelstücken der frühen Jahre. „Der Reichtum von Farbe und Form wurde uns zu selbstherrlich, er fügte sich nicht ein, er ordnete sich dem Wohnen nicht unter“, schrieb sie 1931.

Ein letzter Umbruch in der Bauhausweberei erfolgte, als Lilly Reich im Januar 1932 die Leitung der Werkstatt übernahm und den Bereich des Textildrucks aufzubauen begann. Die verbleibende Zeit bis zur Übersiedelung des Bauhauses nach Berlin und der nur wenige Monate später erfolgenden Auflösung durch die Nationalsozialisten reichte jedoch nicht aus, um diesem neuen Produktionsbereich zu voller Geltung zu verhelfen. Die wenigen Musterproben im Berliner Bauhaus- Archiv zeigen atemberaubend futuristische Dessins, wie sie erst dreißig Jahre später mit Vasarélys serieller Kunst populär werden sollten.

In einem Punkt freilich irrten die Bauhäuslerinnen. Helene Schmidt-Nonné hatte 1926 die Erfindung von reißfesten Stoffen vorausgesagt. „Aber das“, schrieb sie, „ist eine Aufgabe der chemischen Industrie und der Universitätslaboratorien. Sobald dieser Stoff erfunden ist und sich vorteilhaft herstellen läßt, wird für uns die Weberei erledigt sein.“ Doch die Wachstuchdecke versetzte der Textilindustrie keineswegs den Todesstoß – zum Glück.

Reinhard Krause, 37, ist Redakteur im taz mag. Seine Schwerpunkte sind Themen der Popkultur.

Die Ausstellung Das Bauhaus webt ist bis zum 24. Januar 1999 im Bauhaus-Archiv Berlin zu sehen. Danach wird sie im Bauhaus Dessau (20. März bis 30. April) sowie im Bauhaus-Museum Weimar (26. September bis 5. Dezember) gezeigt. Der Ausstellungskatalog ist im Berliner G + H-Verlag erschienen und umfaßt 312 Seiten; in der Ausstellung kostet er 48 Mark.

Weitere Literatur: Stiftung Bauhaus Dessau (Hrsg.): Gunta Stölzl. Meisterin am Bauhaus Dessau, Verlag Hatje, Ostfildern, 1997, 264 Seiten, 98 Mark.