: Sehnsüchtig leuchten die Bilder
Lichte Wellen. Raschelnde Alufolie. Wie läßt sich mit Kunst Geld verdienen? Die neunte Goldrausch-Ausstellung im Marstall ist der krönende Abschluß einer mehrmonatigen Künstlerinnen-Fortbildung ■ Von Detlef Kuhlbrodt
In dem von Senat und Europäischem Sozialfonds geförderten „Goldrausch“-Künstlerinnenprojekt lernen 15 Künstlerinnen acht Monate lang vor allem „berufsspezifisches Management“ und machen am Ende dann eine Gruppenausstellung. Zur Eröffnung der neunten Goldrausch-Ausstellung im Marstall war es recht voll. An den anderen Tagen kann man sich die versammelte Kunst fast allein anschauen. Hinter dem Ausstellungskatalogstresen sitzen Künstlerinnen und passen auf. Das heißt, sie essen Kuchen und erklären einem alles, wenn man mag.
Juliane Duda, die acht Monate auf Künstlerverschickung in Moskau war, klickt die Dinge auf ihrer CD an, die man anklicken muß, wenn was passieren soll. Ihre Internetpräsentation, die aus der Archivierung und Modifizierung russischer Märchenspielfilme hervorgegangen ist, heißt „Alphamaer“. In ihren kleinen Märchenfilmtrailern verwandelt sich dies und das ganz archetypisch und ist mit ihrem „nomadischen Zimmer“ verbunden, das als Passage zwischen zwei Ausstellungsräumen steht: an einen Schlitten gelehnte Handspiegel mit wunderbar leuchtenden Stereofotografien maritimer Motive und einem Wandbett mit Wüstenmotiven auf den Bezügen. Die auf den Boden projizierten Wasserwellen treiben dezent in den nächsten Raum, an dessen Wänden die „the good, the bad an the ugly“ betitelten Bilder von Katrin Hoffert hängen, die übrigens auch neulich in Moskau war.
Sie hat diverse Fotos und Dias mit urbanen Situationen, Porträts oder Bäumen abgemalt, verfremdet, verwischt, übermalt und lasiert. Seltsam unwirklich beziehungsweise sehnsüchtig leuchten die Bilder. Der Raum, den die Verfremdung öffnet, scheint der Entfernung zwischen dem melancholischen Blick und der attestierten Selbstwahrnehmung der Dinge zu entsprechen.
In der Mitte des Raumes stehen die verspielten Dioramen von Kerstin Drechsel. Zwischen allerlei quietschbuntem Barbiepuppen- Accessoire in liebevoll gestalteten Modelleisenbahnlandschaften machen aus Knetwachs geformte junge Frauen „in Wärmeland“ Sex miteinander. Die stumpfe Haut der erotisierten Heldinnen erinnert an braune Marzipankugeln. In rührend steifen Posen lieben sie sich in den Bergen, beim Zahnarzt, vor einer Berliner Silhouette auf dem Kühler eines schicken Autos, am Swimmingpool, in der Prärie auf einem Pferd, zu acht im Fitneßstudio oder beim Camping mit Würstchen. Wir fanden das dialogisch und mußten dann immer kichern beim Gucken, ein anderer fand das alles zu kalkuliert und sexfeindlich. Eventuellen Sexismusvorwürfen pflegen KünstlerInnen seit Jahren damit aus dem Wege zu gehen, daß sie die Bezirke der Heterosexualität meiden.
Im Hintergrund hört man eine Murmel, die in einem elektrisch betriebenen Porzellanteller, den Lena Ziese da hingestellt hat, unaufhörlich kreist. Es geht um Sisyphos. „Bis heute ist unklar, warum der Stein auf den Berg sollte“ steht an der Wand und Daniela Pukropskis in vielen dicken Schichten gemalte, mal klein-, mal großformatige Ölbilder wollen lange betrachtet werden, bis sie dann zurückschauen. Die Spuren des Pinsels im kargen Gefüge meist vertikaler Streifen in erdverbundenen Farben erinnnern an die Seiten verschlossener Bücher.
Wenn man sich schräg vor die Bilder stellt, damit das Licht von den Farben nicht so reflektiert wird, sieht man im Hintergrund auf die so leicht ironisch mädchenhaft gitarrespielend posierenden Zwillinge in dem sommerlichen Bild „Melodie, Melodie“ von Rosa Loy. Am Rande der sanften Berglandschaft karren Männer Noten auf Loren herbei. „Figürliche Elemente der Frührenaissance, Körper der neuen Sachlichkeit, Werbe- und Informationsgrafiken der sechziger Jahre fließen in die Bildkonstruktion ein“ (Kuratorin Hannah Kruse).
Yvonne Trapp schickt Rundbriefe durch die Welt, in denen sie Experten (Bischöfe, Literaten, Wissenschaftler, Künstler) fragt, ob sie mal was von einer männlichen Muse gehört hätten. Das „Eternal Man“ betitelte Projekt kann man sich auf CD angucken. Zu überlegen wäre, ob es sich bei dem in Ernest Bornemans „Sex im Volksmund“ erwähnten „schnaften Isch“ (= anziehender Mann) um eine männliche Muse handelt.
Leise raschelt die Alufolie, wenn sie sich ein- und ausrollt, weil Strom durch sie fließt. Strohhalme drehen sich in Plastikflaschen. Der mit allerlei „poveren“ Materialien gestaltete Alltagsmaschinenraum von Doris Kuwert erinnert ein bißchen nostalgisch an deleuzianische Maschinenmetaphern. Wenn man seinen Kopf in eine der Schmuseboxen von Mihyun Paek steckt, streicheln luftzugbetriebene schwarze und blonde Haare übers Gesicht und riechen gut.
Frühere Goldrauschkünstlerinnen seien sehr erfolgreich gewesen, schreibt Anne Marie im Katalog und attestiert den Künstlerinnen eine „souveräne Berufs-Professionalität“.
Die Arbeiten verunsicherter Laien-Amateure wären vielleicht auch interessant.
Goldrausch9, Marstall Mitte, jeden Tag außer Montag noch bis zum 13. Dezember
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