Die diffuse Angst

■ „Rassismus im virtuellen Raum“: Eine Sammlung von Aufsätzen und Dokumenten

Wenn das Internet in die Schlagzeilen gerät, geht es um Skandale. Um Kinderpornographie, Rechtsradikalismus oder jüngst die Veröffentlichung des Starr-Reports. Eine Aufsatzsammlung mit dem Titel „Rassismus im virtuellen Raum“ scheint da keine Ausnahme zu machen – erst recht, wenn das Titelbild Hakenkreuze mit SM-Anspielungen kombiniert.

Und doch haben die Herausgeber – Politikwissenschaftler der Universität Innsbruck – gerade das Gegenteil der reflexhaften WWW- Verteufelung im Sinn. Sie analysieren den Realanteil rechtsradikaler Webpages, um zu pragmatischen Lösungen zu kommen. Schließlich rühren derlei Überlegungen an eine der grundsätzlichsten Netzdebatten: Zensur oder nicht Zensur. Wenn sich – wie im umfangreichen Dokumentarteil des Bandes zu besichtigen – auch Webpages wie die der rassistischen British National Party mit der blauen Schleife der Free Speech Campaign schmücken, wird das traditionelle Laisser- faire-Prinzip des Internets auf die Probe gestellt. Ganz abgesehen von den unterschiedlichen Rechtsauffassungen einzelner Staaten, die vom globalen Netzwerk ad absurdum geführt werden. Die meisten rechtsradikalen und rassistischen Angebote liegen auf nordamerikanischen Servern; angesteuert werden können sie natürlich auch aus Ländern, in denen die Meinungsfreiheit weniger gilt.

In diesem Zusammenhang arbeitet Mike Sandbothe schlüssig heraus, daß pauschale Verbote oder Filterprogramme lediglich die diffuse Internet-Angst der Nicht-User bestätigen, nicht aber wirksame Veränderungen nach sich ziehen. Statt dessen sei eine immer auch an die alltägliche Netzpraxis gekoppelte Medienschulung zu entwickeln. Wer viel und vor allem selbständig surft, so die These, der lernt auch, mit der Angebotsvielfalt einschließlich ihrer moralisch fragwürdigen Teile sinnvoll umzugehen. „Wenn es gelingt, die Menschen unter den Bedingungen der Massenmedialisierung des Internets zu einer kompetenten Nutzung der neuen Technologie zu befähigen, ist damit ein entscheidender Beitrag zur zukünftigen Medienethik des Internets geleistet“, resümiert Sandbothe.

Wolfgang Welsch philosophiert dagegen über die Verflechtung von realer und virtueller Welt. Mit Hilfe einer Analogie von Information Superhighway und Highway One, der kalifornischen Küstenstraße, erläutert er, daß die friedliche Koexistenz von Computerbildschirm und „richtiger“ Realität nicht nur möglich ist, sondern daß sich beide Bereiche bis hin zur wechselseitigen Umdeutung befruchten können. „Revalidierung nichtelektronischer Erfahrungsformen“ lautet hier das Stichwort: Das Reale wird virtueller, aber zugleich neu bewertet und geschätzt. Nebenbei widerspricht Welsch den gängigen Thesen von Vereinzelung und Informations-Overkill und erinnert die Spezies der „kulturkritischen Nörgler“ daran, daß eine kompetente Mediennutzung einst auch bei Radio und Fernsehen eingeübt werden mußte.

Leider arbeiten nicht alle Beiträge so eng am Objekt. Über viele Seiten hinweg wird einer theoretischen Rassismusdiskussion gefrönt, die völlig medienfrei daherkommt und deren Terminologie besser ins Foucault-Seminar paßt als in eine Aufsatzsammlung über das Internet. Erst gegen Ende schlagen die Herausgeber wieder den Bogen zum Thema. „Pauschalisierende Versuche zur Reglementierung von Inhalten des Cyberspace vermögen nur wenig auszurichten. Sie verfehlen die Besonderheiten dieses Mediums“, fassen Sylvia Riedmann und Christian Flatz zusammen. Über ebendiese Besonderheiten hätte man allerdings gerne noch etwas mehr erfahren. Malte Oberschelp

Sylvia Riedmann, Christian Flatz (Hg.): „Rassismus im virtuellen Raum“. Argument Verlag 1998

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