piwik no script img

Melancholischer Blick auf vergangene Heldentaten

Heute feiert die Freie Universität Berlin ihr 50jähriges Bestehen. Die einstigen Protagonisten der Gründer- und die Protestgeneration sind Exoten geworden. Im Rückblick gefallen sich allerdings beide ganz gut. Visionen für die Zukunft der Universität haben sie jedoch nicht  ■ Von Ralph Bollmann

Jeden Mittwochmorgen, pünktlich um Viertel nach acht, schleicht Ernst Nolte durch die menschenleeren Flure des Instituts für Geschichtswissenschaften. Während die Auftritte des rechtslastigen Historikers an anderen Hochschulen Proteststürme auslösen, hält der 75jährige an der Freien Universität Berlin (FU) fast unbeachtet jede Woche seine Vorlesung. Im Dreiteiler steht er vor einer kleinen Fangemeinde und breitet sein umfassendes Wissen ebenso aus wie seine umstrittenen Thesen.

Wolfgang Fritz Haug dagegen hat vor einem Jahr aufgegeben. Ein Vierteljahrhundert lang hatte der Philosoph seine Studenten jeden Montagabend von sechs bis neun mit dem Marxismus vertraut gemacht. Zu Hochzeiten stritten sich 500 Studierende um die einzig wahre Marx-Exegese. Auch wenn zum Schluß nur noch ein paar Dutzend Hörer lauschten – der Hauch eines Gottesdienstes blieb. Wie von der Kanzel verkündete Haug auf dem Katheder die blauen Bände. Doch Haug litt immer mehr darunter, daß ihn kaum noch ein Student wirklich verstand. „Mein Name ist Professor Sisyphos“, sagte er zuletzt und legte Marx beiseite.

An der FU sind Wissenschaftler wie Nolte und Haug inzwischen zu Exoten geworden. Für die meisten Studenten sind die ideologischen Kämpfe von einst graue Vorgeschichte. Niemand steht mehr morgens um sieben auf, um Nolte Paroli zu bieten, und niemand quält sich mehr mit den Mühen der Marx-Lektüre. Dennoch: 50 Jahre nach ihrer Gründung am 4. Dezember 1948 blickt die FU auf eine bewegtere Vergangenheit zurück als Traditionsunis wie Heidelberg oder Tübingen.

Doch bei den Jubiläumsfeiern, die mit einem Festakt heute ihren Höhepunkt erreichen, erscheinen die Konflikte von einst nur noch als verblaßte Erinnerung. Die FU verkörpere die „nichtideologisierte Tradition“ der alten Berliner Universität, sagt der konservative Vizepräsident Peter Gaehtgens stolz. Da ist es ihm schon zuviel, daß die Politologin Gesine Schwan die Harmonie des Jubeljahres störte, indem sie ihre Kandidatur für das Amt der Uni-Chefin bekanntgab.

Auf dem Geburtstagsfest neun Jahre nach dem Fall der Mauer finden sich die „48er“, die einst aus der kommunistisch dominierten Universität Unter den Linden in den südwestlichen Vorort Dahlem flüchteten, friedlich vereint mit den „68ern“, die in den Augen der Gründungsväter die „Freie“ Universität wieder den Kommunisten ausliefern wollten. Und niemand empört sich, wenn der Politologe Kurt Sontheimer, Lieblingsfeind der 68er, erklärt, seine Studenten seien damals schlicht „verrückt geworden“. Melancholisch blicken beide Generationen auf vergangene Heldentaten.

Die Gründungsstudenten von 1948 müssen sich zu zahllosen Diskussionen herumreichen lassen. Als prominentester unter ihnen durfte der spätere Verfassungsgerichtspräsident Ernst Benda gleich mehrfach über die kargen Anfänge referieren. Die Erfolgsgeschichte der FU hielt er den Wohlstandskindern als Beleg vor, „daß der Mensch unter schwierigen äußeren Bedingungen mehr leisten kann, als er sich selbst zutraut“.

Die Protagonisten der Studentenbewegung geben sich weniger selbstgewiß, nicht wenige üben sich zerknirscht in öffentlicher Selbstkritik. Der Soziologe Bernd Rabehl, einst Genosse Rudi Dutschkes im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), hält inzwischen die alte Ordinarienuniversität für „die bessere Variante“. Der Politologe Klaus Schroeder, in den 70er Jahren in linken Stadtteilgruppen aktiv, arbeitet sich heute im „Forschungsverbund SED-Staat“ an einstigen Kommunistenfreunden im Westen ab. Leute wie Rabehl oder Schroeder, glaubt der Literaturwissenschaftler Gert Mattenklott, hätten „den Sinn für allgemeine Stimmungen in der Bevölkerung verloren“ und ihren Erfolg deshalb nicht mehr wahrgenommen. An der FU konnten sie sich offenbar zwanzig Jahre lang in ziemlich beengten Zirkeln vom Rest der Gesellschaft abschotten.

Für Studenten hingegen, die erst nach 1989 an die FU kamen, ist die gedrückte Stimmung dieser Altlinken schwer verständlich. Sie hatten die 68er in der westdeutschen Provinz als Sieger der Geschichte kennengelernt – als tolerante, weltoffene, selbstironische Vertreter einer Generation, die erst in der Kohl-Ära das gesellschaftliche Klima und das Land bis in die letzten Winkel durchdrungen hatte, geistig-moralischen Wenden zum Trotz. In Berlin mußten die sogenannten 89er dann erfahren, daß sie bislang bestenfalls die Sympathisanten oder Epigonen der 68er kennengelernt hatten – die Spontis der 70er und die Toskana-Fraktionäre der 80er.

Doch an der FU hatte die starke Politisierung am Ende nicht aus dem Elfenbeinturm heraus-, sondern schnurstracks in ihn hineingeführt. Die Strategie der Berliner SPD, die den studentischen Protest 1969 durch ein neues Hochschulgesetz samt erweiterter Mitbestimmung vom Kurfürstendamm auf den Campus zurückdrängen wollte, ging auf.

Linke Studenten und konservative Professoren neigten fortan dazu, die Hochschule und ihre Gremien als Ersatz für die echte Politik und die wirkliche Gesellschaft zu benutzen. Im Akademischen Senat herrschte Fraktionszwang, Verwaltungsposten wurden nach Zugehörigkeit zu den hochschulpolitische Fraktionen verteilt. Die Psychologen spalteten sich nach politischen Präferenzen in ein „Institut für Psychologie“ einerseits, ein „Psychologisches Institut“ andererseits. Daß in den Gremien „wie im öffentlichen Leben Interessengruppen gegeneinander ihre Ansprüche durchsetzen“ wollten, habe „die Gruppenuniversität zu Recht in Verruf gebracht“, glaubt der linksliberale Germanist Eberhard Lämmert, FU-Präsident von 1976 bis 1983.

Allein die exponierte Lage der Frontstadt bewirkte, daß die Öffentlichkeit das Spektakel überhaupt noch ernst nahm. Die Wahl eines FU-Präsidenten war in West- Berlin stets ein Politikum. Um das Amt entbrannten Intrigen, die sich der Hamburger Anglist und „Campus“-Autor Dietrich Schwanitz nicht besser hätte ausdenken können. Bei einer Wahl verschwanden die Stimmzettel, beim nächsten Urnengang schwärzte der konservative Kandidat seinen linken Gegenspieler in einem anonymen Zeitschriftenbeitrag an. Als die Affäre vier Jahre später ruchbar wurde, zog er die Ermittlungen kurzerhand an sich. Der Mann hieß Dieter Heckelmann und wurde später Innensenator.

Dennoch wuchs in den 80er Jahren wieder das Eigengewicht der Wissenschaft. In das an Attraktivität gewinnende West-Berlin kamen renommierte Forscher von auswärts an die FU. Seit den 60er Jahren, als nach dem Mauerbau ein großer Teil der mobilen Eliten die Halbstadt verließ, hatten mediokre Konservative das Feld dominiert. Das war einer der Gründe, warum die Studenten in Berlin besonders heftig revoltierten. In seiner übergroßen Mehrheit war der Lehrkörper nie so links, wie es das Bild einer roten Kaderschmiede vermuten ließ.

Mit dem Fall der Mauer, so ist überall zu hören, sei die FU eine „ganz normale Universität“ geworden. Daß die politische Klasse Berlins, obwohl selbst in Dahlem ausgebildet, ihre Sympathien sogleich auf die Humboldt-Universität (HU) im Herzen der neuen Hauptstadt verlagerte, daß einst verfeindete Wissenschaftler angesichts des finanziellen Drucks von außen wieder zusammenrückten – das hat der FU gewiß nicht geschadet. Wenn aber die interessanteren Neuzugänge unter Professoren und Studenten die HU im Zentrum des Geschehens dem beschaulichen Außenbezirk Dahlem vorziehen, dann kann sich die Hochschule weniger freuen.

Deshalb versucht die FU jetzt, bei der Berufung neuer Professoren Effizienz und Konkurrenzfähigkeit zu demonstrieren. In den Hörsälen treten immer häufiger Dozenten wie der aus Oxford eingekaufte Politologe Joachim Jens Hess auf, der unentwegt über „Reformpolitiken“ und „Zukünfte“ nachdenkt, dabei Studenten mit „Herr Kommilitone“ oder „Frau Kommilitonin“ anredet und den Besuch einer Vorlesung als „Investition“ verkauft. Auch an der FU sind die Zeiten der politischen Professoren alten Stils vorbei.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen