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Der Lord und sein gemeiner Chef

Aufruhr in der britischen Politik: Im Streit zwischen der Labour-Regierung und dem Adel im Oberhaus stehen plötzlich die oppositionellen Konservativen als Verlierer da  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – Die Macht des britischen Adels ist nur schwer zu erschüttern. Da dachte man nun gerade, die Tage des altertümlichen britischen Oberhauses seien gezählt. Und nun bildet sich plötzlich eine Allianz von altem Adel und New Labour, und wenn irgend jemandes Tage gezählt sind, dann wohl die der oppositionellen Konservativen Partei.

Bekanntlich will die Regierung Tony Blair das Oberhaus grundlegend reformieren. Zuerst soll der Erbadel sein Stimmrecht verlieren, und dann passiert ganz lange gar nichts, bis sich irgendwann jemand ein neues Oberhaus ausdenkt. Die Konservativen, und nicht nur sie, lehnen das ab. In den letzten Wochen wurden die sonst gesitteten Oberhausbänke rebellisch. Am 18. November kippten die Lords und Ladies sogar Labours Wahlrechtsreform für die Europawahlen 1999.

Zugleich war Blair jedoch dabei, einen Kompromiß auszuarbeiten: 75 der 759 erblichen Oberhausmitglieder sollten vorerst bleiben dürfen. Der Fraktionschef der Konservativen im Oberhaus, Lord Cranbourne, war dieser Übergangslösung zugetan. Aber der konservative Parteichef William Hague bekam nach dem Erfolg des 18. November Oberwasser und wies Cranbourne an, den Kompromiß abzulehnen.

Cranbourne verhandelte ungerührt weiter mit Blair. Am vergangenen Mittwoch sollte der Blair- Cranbourne-Plan den Oberhaus- Konservativen vorgelegt werden. Als Hague das Mittwoch früh erfuhr, ging er an die Decke. Am Mittwoch nachmittag machte er im Unterhaus den Hinterzimmerdeal öffentlich und lehnte ihn gleichzeitig ab. Am Abend entließ er Lord Cranbourne von seinem Posten.

Das gesamte Parlament war völlig verblüfft. Die erboste Fraktionsführung der Tories im Oberhaus bot am Donnerstag komplett ihren Rücktritt an. Als Hague ablehnte, traten fünf davon trotzdem zurück. Aber Hague lief weiter Amok. Gestern sagte er, er würde jeden entlassen, der sich so benehme wie Lord Cranbourne.

Hagues Position als Parteiführer ist zwar nicht gefährdet. Niemand würde ihm zum jetzigen Zeitpunkt seinen Job abnehmen. Aber wieder einmal stellen die Tories ihre Klassengegensätze zur Schau. Der nicht aus der Oberschicht stammende Hague stellt sich als prinzipienfest dar, weil er geheime Deals ablehnt. Aber während er in seiner Partei herumwütet wie ein wild gewordener Kleinbürger, sind die Adligen, für deren Rettung Hague zu kämpfen meint, viel pragmatischer. Denn Lord Cranbourne, der einem der ältesten Adelsgeschlechter Englands entstammt, wird immer Einfluß haben, auch ohne Stimme im Oberhaus. Hague nicht.

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