piwik no script img

„Wir arbeiten dran.“

■ Der Kongreß „profile intermedia“ oder: Wenn sich „die Avantgarde von gestern mit der von heute trifft“, erntet der Eitelste das größte Echo, glänzen aber tun die Praktiker

Eine Linie zuckt über die Leinwand. In Form von Herzschlagkurven lösen sich Bögen aus ihr heraus. Ein Punkt weitet sich zu einem Lichtkreis aus grellem Weiß und erlischt: Wieder mal sind wir Aldous Huxleys Fühlkino einen kleinen Schritt näher gekommen, denn wieder mal hat Michael Saup Musik sichtbar gemacht. In der Visualisierung einer kleinen Komposition läßt der Frankfurter Medienkünstler Bild und Ton zugleich auf das Gehirn wirken. Für eigene Bilder im Kopf ist kein Platz mehr, und trotz ähnlicher Erfahrungen mit Lasershows in der Discothek ist es faszinierend, wie Ton zum Bild und hell und laut eins werden. Michael Saup erntet viel Beifall für seine Präsentation. Schenkt man dem Publikum Glauben, das Saup applaudiert, sollte diese schöne, neue Mediazukunft am besten gleich beginnen. Zumindest nach der Lautstärke ist Michael Saup einer der Sieger des ersten Kongresses für intermediales Design „profile intermedia“, der gestern im Bremer Messezentrum zu Ende ging.

„Wir wollten einfach mal ein paar Leute einladen, die wir gut finden“, sagt Sven Voelker, der zusammen mit Thomas Weiling in Peter Reas Intermedia-Center an der Bremer Hochschule für Künste studiert. Doch Voelkers und Weilings gemeinsame Idee wuchs sich innerhalb von eineinhalb Jahren zu einem groß dimensionierten Kongreß aus, an dessen Vorbereitung schließlich hundert Menschen mitwirkten: Über 800 zahlende Gäste haben sich für die drei Tage im Messezentrum angemeldet, und die Mehrheit von ihnen hat nach Angaben des Hochschulsprechers Ralf Schneider den Normaleintritt von 530 Mark gezahlt. Voelker, so gesteht er am Rande des Kongresses, hätte allenfalls mit einem halb so großen Zuspruch gerechnet. Doch Referentennamen wie Peter Greenaway (Regisseur), Michael Schirner (Werbepapst), John Warwicker (von der Londoner Reklamekunstschmiede Tomato) oder auch Michael Saup hatten eine so starke Magnetwirkung, daß Schneider über „die Begegnung der Avantgarde von heute mit der Avantgarde von morgen“ frohlockt: „Offensichtlich treffen wir einen Nerv der Zeit.“

Von Multimedia haben selbst Laien schon etwas gehört. Doch sie werden sich schon wieder an einen neuen Begriff gewöhnen müssen: Intermedia. „Unser Center sitzt zwischen den drei Säulen Bildende Kunst, Musik und Design. Man kann aus jedem Bereich zu uns kommen“, definiert Peter Rea den Begriff für die Verbindung von Ton, Bild, Typographie und Formgebung. John Warwicker von Tomato, die mit ihren in Schallgeschwindigkeit tanzenden Typographien Werbemaßstäbe setzten, macht sich die Philosophie mancher beim Kongreß übrigens fehlender Produkt- oder Industriedesigner zu eigen: Er spricht von der Architektur in erfundenen Räumen. Doch egal ob Multimedia, Intermedia oder Architektur: Ohne die beiden entscheidenden und sich parallel ereignenden technologischen Neuerungen des zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts – nämlich die neuen Netze und die Digitalisierung von Informationen – wären weder solche Definitionsfragen noch der Kongreß denkbar.

In wohldosierter und professionell organisierter Folge präsentieren sich da Praktiker und Künstler sowie Grenzgänger wie Tanja Diezmann, die einst die Web-Side-Gestaltungs-Agentur Pixelpark mitgründete und heute versucht, sowohl Kunst als auch Business zu machen. In Sachen Intermedia stellt die gerade zur Professorin in Dessau berufene junge Berlinerin den Entwurf einer Studentin für ein Dateisystem vor: Es basiert nicht mehr auf Ordnern, sondern arbeitet mit einem virtuellen Raum zwischen den medialen Eckpunkten Bild, Ton, Wort und Form. Wie viele andere ReferentInnen enthält sich Tanja Diezmann einer Prognose über die künftige Anwendbarkeit dieses Entwurfs. Dennoch ist er ein Beispiel dafür, wie eng künstlerisches Experimentieren und kommerzielles Verwertbar machen im Design beieinander liegen: Die experimentelle Visualisierung von Musik beschäftigt Tanja Diezmann ebenso wie der gute Internetauftritt des Großkunden XY.

Dagegen haben sich Tanja Diezmanns Ex-Kollegen von Pixelpark, Florian Dengler und Holger Vollland, für die kommerzielle Seite der Medaille entschieden: Beim Bremer Kongreß macht sich Dengler öffentlich über den Internet-Auftritt von Procter & Gamble lustig, der den Surfer mit Bestimmungen und Hinweisen zum Datenschutz begrüßt. Und wenig später präsentiert Volland einen Entwurf, wie ein Bankkunde sein Persönlichkeitsprofil möglichst spielerisch und nicht durch Datenschutzüberlegungen abgelenkt über das Netz an das Geldinstitut vermitteln kann.

Fast widerspruchslos nimmt das überwiegend-überraschend uniform in grau bis blau gekleidete Publikum diese Präsentation zur Kenntnis. Eher müde verläuft auch eine Podiumsdiskussion, die Erik Spiekermann, Gastprofessor an der Bremer Kunsthochschule, als Moderator frech und provozierend wie Hamburgs Schmidttheaterchef Corny Littmann, aber erfolglos aufzumischen versucht. Einzig Michael Schirner inszeniert sich erfolgreich als Kongreß-Buhmann. In einer Mischung aus Eitelkeit und Augenzwinkern hatte er sich am Abend zuvor als Erfinder der rhythmusfreien Musik dargestellt und Jahre nach der Knitting Factory, den Residents oder auch Arnold Schönberg in aller Kühnheit eines Werbeprofis Klangebilde, „die nach Techno und nach allem kommen“, auflegen lassen. Jetzt, auf dem Podium, gibt er natürlich zu, daß seine Musik nicht neu ist. Aber der Unbescheidenste von allen provoziert das lauteste Echo und bestätigt, wie weit Schein und Sein in Werbung und Design auseinanderdriften.

Und doch ist nicht alles hohl, was glänzt. Der 60jährige Brite Peter Rea gerät bei einer Moderation fast wie Justus Frantz ins Schwärmen über das globale Dorf und die Internationalisierung durch das neue Intermedia. Aber es kommt darauf an, wer wann was sagt: Als Rea ein Kind war, war Weltkrieg. Und auf einem Umweg weist Rea darauf auch hin: Neben der Bremer Professur hält er eine weitere an der Notre Dame Universität in Beirut und hat libanesische Studentinnen zum Kongreß eingeladen. Hörbar nervös und in der Angst, fehl am Platze zu sein, träumt die Filmemacherin Lara Saba „von einem Tag, an dem die Schwerkraft aufgehoben ist und alles vom Himmel fällt – mit Ausnahme derer, die fliegen können“. Das Publikum bedenkt ihren plaziert-deplazierten Dokumentar-Spiel-Film über die Schrecken des Krieges mit herzlichem Beifall. Dies ist eine der stärksten Szenen des Kongresses, weil sie deutlich macht, daß Martin Luther Kings „I have a dream“ einmal mehr war als ein Schnipselchen für eine Multimedia-Applikation. Für einen kurzen Moment ist das mit all den Samples zum Teil zugedröhnte Auditorium andächtig, bis es zur Tagesordnung übergeht.

Da glänzen ansonsten die Praktiker. Unter ihnen Danielle Eubank, die im Auftrag der BBC das öffentlich-rechtliche britische Fernsehen um interaktive Kommunikationskanäle erweitert und von der Herausforderung der Einfachheit spricht. Unter ihnen auch ein ebenfalls britischer Designer von AudioROM, der eine phantasievoll gestaltete CD-ROM für Do-it-yourself-DJs vorstellt und wenig später aufpassen muß, daß das begeisterte Publikum ihn bei einer Verschenkaktion nicht über den Haufen rennt.

Und was ist mit Aldous Huxleys Fühlkino? Das heißt in der Frage eines Teilnehmers: Wann werden Tastatur und Maus als Schnittstelle überflüssig und durch sensorenge-spickte Handschuhe ersetzt? „Das ist eine gute Frage“, sagt Tanja Diezmann, „wir arbeiten dran.“

Christoph Köster

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen