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■ berlin spinntDer Muff von fünfzig Jahren

Es muß ziemlich muffig zugegangen sein im alten West-Berlin, und die Freie Universität war nicht die große Ausnahme, als die sie von ferne manchmal erschien. Am Wochenende stieg die Hochschule noch einmal tief hinab in die Vergangenheit. Genauer gesagt: Sie begab sich, um mit einem Ball ihr 50jähriges Bestehen zu feiern, ins „Palais am Funkturm“ auf dem Messegelände. Der Bau aus den 50er Jahren, hinter einer einschüchternden Eingangshalle aus der Nazizeit versteckt, ist eigentlich sehr elegant – wäre er nicht mit schäbiger Auslegeware und kitschigen Weihnachtsgirlanden verunstaltet, würden nicht wortkarge Kellner zu überhöhten Preisen Weine drittklassiger Winzergenossenschaften kredenzen.

Wer im Glauben gekommen war, eine Gesamtberliner Hochschule wolle sich hier im Jahr 1998 auf der Höhe der Zeit präsentieren, wähnte sich im falschen Film. Die Atmosphäre erinnerte an einen Tanztee im Café Kranzler, und die „künstlerischen Darbietungen“, mit denen „die Berliner Hochschulen“ ihre Gäste „überraschen“ wollten, konnten diese Assoziation nicht wirklich vertreiben.

Die Journalistin Georgia Tornow, gerade selbst 50 Jahre alt geworden, moderierte den Abend nur knapp über Kaffeefahrt-Niveau. Studenten der Technischen Universität, als „Technican Harmonists“ verkleidet, hangelten sich singenderweise von einem Klischee der FU-Geschichte zum nächsten. Den Gipfel der Peinlichkeiten erklomm Hans Meyer, Präsident der Humboldt-Universität. Er mühte sich, die Geschichte der aus dem Schoß seiner eigenen Hochschule gekrochenen FU gynäkologisch zu erklären, schwadronierte in altväterlich-patriarchalem Jargon vom „jungen Mädchen“ FU, das erst im Alter von 40 Jahren seinen „Babyspeck“ verloren habe.

Doch das zahlreich erschienene Publikum, Durchschittsalter um die 60 Jahre, amüsierte sich köstlich und tanzte unermüdlich zu den Klängen der „Hartmut Kupka Bigband“. Studenten hatten sich nur wenige auf den Ball verirrt. Dabei mag auch der Geldbeutel eine Rolle gespielt haben: Der Eintritt kostete 40 bis 80 Mark, ein kleines Bier sieben Mark.

Immerhin hatten sich die Wissenschaftler erstmals seit Jahrzehnten wieder aufs gesellschaftliche Parkett begeben. Prominenz im landläufigen Sinne machte sich zwar rar, doch Uni-Größen aller Couleur hatten sich in Schale geschmissen – vom linken Politologen Elmar Altvater bis zum rechten Juristen und Ex-Innensenator Dieter Heckelmann. Geschmack ist eben keine Frage der Gesinnung, sondern der Generation. Ralph Bollmann

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