Arme sterben sieben Jahre früher

■ Kongreß: „Armut und Gesundheit“ will neues Gesundheitssystem

„Arme Menschen leben durchschnittlich sieben Jahre weniger als reiche, sie haben mehr und schwerere Erkrankungen und weniger Möglichkeiten, ihre Krankheit zu bewältigen.“ Mit dieser klaren Zustandsbeschreibung eröffnete Raimund Geene, Geschäftsführer des Vereins „Gesundheit Berlin“ den vierten bundesweiten Kongreß Armut und Gesundheit, der am Wochenende in der Technischen Universität stattfand. Als arm gilt, wer höchstens 50 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat. In den alten Bundesländern sind dies etwa 13, in den neuen Ländern acht Prozent der Bevölkerung.

Rund 250 Fachleute aus Medizin und Sozialarbeit waren der Einladung des Vereins „Gesundheit Berlin“, der Berliner Ärztekammer, des DGBs und anderer gefolgt. „Wir müssen uns endlich entscheiden“, betonte Ärtekammerpräsident Ellis Huber, „ob wir ein Gesundheitssystem wollen, das ein Maximum an sozialem Gewinn oder eine maximale Profitabschöpfung möglich macht“. Bei der Durchsetzung eines „sozialen statt marktwirtschaftlichen Gesundheitssystems“ setzt Huber auf die bündnisgrüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer.

Daß Fischer – die an dem Kongreß nicht teilnahm, aber in einem Grußwort sich für eine Gesundheitspolitik stark machen will, „die die Vermeidung von Armut und Ausgrenzung als eine ihrer wichtigsten Aufgaben begreift“ – die Umorientierung der Gesundheitspolitik nicht allein durchsetzen kann, ist Huber klar. Schließlich kennt er die mächtigen Lobbyinteressen im Gesundheitswesen: „Sie braucht die Unterstützung einer Gesundheitsbewegung.“

Armut und Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen war einer der Schwerpunkte des Kongresses. Diese Altersgruppe, so Sabine Walther vom Deutschen Kinderschutzbund, sei inzwischen am häufigsten von Armut samt großen gesundheitlichen Auswirkungen betroffen: So werden, laut einer Untersuchung unfallbedingter Krankenhausaufnahmen von Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen, Kinder armer Familien um 40 Prozent häufiger Opfer schwerer Unfälle als andere Kids: Wohnen diese doch häufiger an Hauptverkehrsstraßen oder werden schlechter über Unfallgefahren informiert.

Auch klagen sie, so das Ergebnis einer Studie des Bielefelder Gesundheitswissenschaftlers Klaus Hurrelmann, häufiger über Kopfschmerzen, Einschlafstörungen, Hilflosigkeit und Einsamkeit.

Eine Ursache ist, daß die Gesundheitsvorsorge Kinder aus sozial schwachen Familien schlecht erreicht. „Viele Präventionsangebote gehen an der Unterschicht völlig vorbei“, sagte Bauch. Bauch forderte daher eine gezielte Gesundheitsförderung der sozial Schwachen. Einig waren sich die KongreßteilnehmerInnen auch, daß Familien finanziell besser unterstützt werden müssen. „Wir brauchen ein Kindergeld in der Höhe, die den realistischen Kinderkosten entspricht“, so Walther vom Kinderschutzbund. Diese Kosten liegen nach ihrer Einschätzung bei mindestens 500 Mark monatlich bis zum 25. Lebensjahr der Kids. Das Kindergeld könne aber – anders als jetzt – einkommensabhängig sein.

Auch in zwei anderen Schwerpunkt-Foren – MigrantInnen und Wohnungslose – wurde eine klare Forderung formuliert: Von den Krankenkassen und dem Staat müsse ein Fonds geschaffen werden, aus dem die Gesundheitsversorgung derer bezahlt wird, die nicht versichert sind. Das sind MigrantInnen, die sich illegal in Deutschland aufhalten, und ein Teil der Obdachlosen. Diese Forderung wurde auch von Vertretern des AOK-Bundesverbands und des brandenburgischen Gesundheitsministeriums unterstützt. Sabine am Orde