: Taxi nur für Deutsche
Wer in der Grenzstadt Zittau Ausländer mit seinem Taxi mitnimmt, läuft Gefahr, wegen „Einschleusens“ im Gefängnis zu landen. Denunziationspflicht fördert Fremdenangst. Die dort lebenden Ausländer sehen ihre Legitimität ständig in Frage gestellt ■ Von Marina Mai
Altan Karargöl lebt seit vier Jahren in der sächsischen Grenzstadt Zittau im Dreiländereck Deutschland – Polen – Tschechien. Wenn der Kurde nachts von seinem City-Kebap am Marktplatz nach Hause fahren will, nimmt er sich ein Taxi. Nur 200 Meter liegt der Taxistand von seiner Dönerbude entfernt. Viele Taxifahrer sind gute Kunden von ihm. Dadurch hat Karagöl mehrere „persönliche Chauffeure“, die ihn kennen. Irgendeiner dieser Fahrer hat immer Nachtdienst und bringt ihn sicher nach Hause.
Als Karagöls Freund aus Dresden neulich ihn Zittau zu Besuch war, wollte dieser nachmittags mit dem Taxi zum Bahnhof. Erfolglos. Er fand keinen Fahrer, der ihn mitnahm. „Die Taxifahrer haben gesagt, sie dürften meinen Freund nicht fahren“, erzählt Karagöl und zuckt verständnislos die Schultern. Doch der Fall seines Freundes ist kein Einzelfall. Er hat System. Einem schwerverletzten türkischen Dönerbuden-Betreiber hatten die Taxifahrer vor fünf Wochen die lebenswichtige Fahrt ins Krankenhaus verweigert. Der 38jährige Nazim Acar war nachts von rechten Jugendlichen zusammengeschlagen worden und hatte sich mit letzter Kraft durch das menschenleere Stadtzentrum zum Taxistand geschleppt. Er hatte ein Bein und eine Rippe gebrochen, vier Zähne verloren und blutete aus dem Ohr. Es half nichts. Acar mußte sich weiterschleppen zur Wohnung einer Bekannten. Die rief schießlich den Krankenwagen.
Entlang der deutschen Ostgrenze wurden bislang etwa 150 Ermittlungsverfahren gegen Taxifahrer wegen „Einschleusens von Ausländern“ eingeleitet. Nirgendwo anders als in Zittau mußten die Chauffeure allerdings dafür ins Gefängnis. Bereits vier Taxifahrer sitzen dort, weil sie Ausländer mitgenommen hatten, die zuvor illegal über die Grenze aus Polen oder Tschechien eingereist waren. 39 Taxifahrer gibt es in der Stadt. Elf von ihnen standen wegen „Einschleusen“ vor dem Kadi. „Einschleusen“ bedeutet aber nicht etwa, die Taxifahrer hätten Flüchtlinge über die Grenze gebracht. Ihnen wird zur Last gelegt, illegal Eingereiste innerhalb der Bundesrepublik transportiert zu haben. Auch in den Brandenburger Grenzstädten Guben und Forst wurden gegen drei Taxifahrer Bewährungsstrafen ausgesprochen.
Lassen Sie sich von Schleuserbanden nicht mißbrauchen! Nehmen Sie keine offensichtlich illegal eingereisten Personen in ihrem Taxi mit“, steht auf einem Flugblatt, das der Bundesgrenzschutz (BGS) entlang der deutschen Ostgrenze an Taxifahrer verteilt. Wie „offensichtlich illegal eingereiste Personen“ aussehen und sich verhalten, war am Amtsgericht Zittau und am Landgericht Görlitz bereits mehrfach Gegenstand von Verhandlungen. So waren die Richter der Meinung, Taxifahrer hätten spielsweise auf einen illegalen Aufenthalt schließen können, weil Ausländer nachts mit schmutziger Kleidung zustiegen oder weil sie ihr Gepäck nicht im Kofferraum, sondern auf dem Rücksitz ließen, um im Fall einer Kontrolle schnell weglaufen zu können.
Staatsanwaltschaft und Gerichte sehen in den Taxifahrern das letzte Glied einer arbeitsteilig organisierten internationalen Schleuserorganisation. In keinem einzigen Verfahren konnte nach Kenntnis der Taxifahrer-Verteidigerin Karin Zebisch nachgewiesen werden, daß die Fahrer im direkten Kontakt zu Schleusern standen. Die Indizienkette, mit denen sächsische Gerichte die Fahrer verurteilten, ist geradezu abenteuerlich: So wurde als Sachverständige eine Beamtin der Ausländerbehörde vernommen. Sie sagte aus, im ganzen Landkreis würden nur etwa 1.000 Ausländer wohnen. Darunter seien 600 polnische Studenten und 150 Asylbewerber, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation als Taxikunden ohnehin nicht in Frage kämen. Daraus schloß das Gericht, die Chauffeure hätten genau gewußt, daß es sich bei ihren Fahrgästen nur um „Illegale“ handeln könne. Zwei Taxifahrer wurden verurteilt, ohne überhaupt Flüchtlinge gefahren zu haben. Der Taxifahrer Michael R. hatte auf dem Rückweg von einer Fahrt am Waldrand sein Fahrzeug gehalten und die Motorhaube geöffnet. In der Nähe dieser Stelle hatte der BGS gerade eine Gruppe illegal eingereister Flüchtlinge gestellt. Die Gerichte sahen es in drei Instanzen als erwiesen an, daß Michael R. die Flüchtlinge hatte mitnehmen wollen.
Selbst eine Denunziationspflicht gibt es in Sachsen per Richterspruch. Der Taxifahrer Bernd L. wurde wegen Mitnahme von illegal Eingereisten zu 16 Monaten Haft verurteilt. Laut Gerichtsurteil hätte „durchaus die Möglichkeit bestanden, durch einen Anruf beim BGS die Personen überprüfen zu lassen, um jedes Risiko für sich auszuschließen“. Der BGS hat der Taxi-Innung noch weitere Vorschläge unterbreitet. Fahrer sollten etwa durch Lichthupen anzeigen, daß Ausländer im Fahrzeug sitzen. Damit würden sie dem BSG ein Zeichen zur Kontrolle geben und, falls illegal Eingereiste in ihrem Auto säßen, dann straffrei ausgehen. Und das Landratsamt hat der Taxi-Innung eine schriftliche Generalamnestie ausgesprochen, falls ein Ausländer mit Aufenthaltsrecht einen Chauffeur wegen der Verletzung der Personenbeförderungspflicht anzeigt.
Ein Taxifahrer hat nicht das Recht, die Personalien seiner Fahrgäste zu kontrollieren. Er kennt sich auch zuwenig aus“, meint die Anwältin Karin Zebisch. „Manchmal weiß der BGS selbst nicht, ob beispielsweise ein Jugoslawe ein Visum benötigt. Die Be- amten müssen oft stundenlang in ihren Dienstanweisungen blättern, wenn sie Leute kontrollieren.“ Harald Glöde von der Berliner Forschungsgesellschaft Flucht und Migration spricht von der Kriminalisierung eines ganzen Berufsstands. Er hält es für einen Skandal, daß Taxifahrer gezwungen werden, ihre Fahrgäste aufgrund phänotypischer Merkmale nach rassistischen Merkmalen zu selektieren.
Die Situation der Zittauer Taxifahrer führt zu obskuren politischen Diskussionen. Für Taxifahrer Udo Knepper gäbe es eine einfache Lösung: „Der BGS sollte sich an die drei Ausfahrtsstraßen aus dem Landkreis stellen und jedes Fahrzeug kontrollieren.“ Das brächte Rechtssicherheit. „Denn man könnte uns nicht mehr unterstellen, wir hätten nicht mit Kontrollen gerechnet.“ Ähnliche Forderungen gibt es im sächsischen Innenministerium. In der letzten Sitzung des Innenausschusses hatte ein Ministeriumssprecher angekündigt, „eine Empfehlung für Verhaltensweisen“ an Taxifahrer über ihre Rechte und Pflichten gegenüber ihren Kunden auszuarbeiten. Die SPD-Fraktion hält eine solche Empfehlung im Interesse einer größeren Rechtssicherheit der Taxifahrer für überfällig. Allein die PDS lehnt es ab, Taxifahrer per Ministeriumsempfehlung zum Selektieren oder Denunzieren von Fahrgästen zu zwingen, und verweist auf das staatliche Gewaltmonopol. Sie bereitet eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung des Schleuserparagraphen vor. Auch Harald Glöde sieht es als unentbehrlich an, die Hilfe zur Wahrnahme des Grundrechts auf Asyl gegenüber Flüchtlingen nicht länger unter Strafe zu stellen. „Dazu muß das Ausländergesetz geändert werden.“
Leute wie Altan Karagöl und Nazim Acar sind die Opfer der Illegalenhatz. Sie beklagen sich, daß in der gegenwärtigen Situation jeder das Recht hätte, ihre Legitimität in Frage zu stellen. „Die BGSler kaufen bei mir Döner, und hinterher lassen sie sich auf der Straße den Paß zeigen, ob ich auch hierher gehöre.“ sagt Acar.
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