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Die Atomgesetznovelle wird zum Phantom

■ Der Ausstieg sollte mit einem Gesetzentwurf beginnen. Nun hat dieser offiziell nie existiert

Hannover (taz) – Die „geordnete und sichere Beendigung der Kernenergienutzung“ soll der Gesetzentwurf aus dem Bundesumweltministerium eigentlich „durch eine Neuordnung des Atomenergierechts einleiten“. Und in dem 39seitigen Papier aus dem Bundesumweltministerium, dem der Segen von Umweltminister Jürgen Trittin nun immer noch fehlt, finden AKW-Gegner durchaus vertraute Formulierungen: „Die Wahrscheinlichkeit von Unfällen in atomtechnischen Anlagen wurde bisher unterschätzt“, heißt es da etwa. Das Problem der atomaren Entsorgung sei „weltweit noch nirgendwo gelöst“. Und überhaupt passe die Atomenergie nicht „zu einer nachhaltigen und umweltverträglichen Energieversorgung“.

All diese Formulierungen finden sich in jenem „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes“, mit dem das Bundesumweltministerium eigentlich nur die rot-grüne Koalitionsvereinbarung „punktgenau“ umsetzen wollte, den aber jetzt der wütende Protest der Energiewirtschaft erst einmal gebremst hat: Die Vorlage ist wohl auf Januar vertagt. In sechs Punkten, so haben es SPD und Grüne in ihrer Koalitionsvereinbarung festgelegt, soll „als Teil des 100-Tage- Programms“ der neuen Regierung das Atomgesetz zunächst geändert werden. Als erster Schritt, den Ausstieg aus der Atomkraftnutzung umfassend und unumkehrbar gesetzlich zu regeln, war diese Gesetzesänderung gedacht.

Noch vor drei Wochen war sich Jürgen Trittin sicher, den Gesetzentwurf in wenigen Tagen den Fraktionen von SPD und Grünen zuleiten zu können. Doch dann wandte sich Ulrich Hartmann, der Vorstandsvorsitzende der Veba, auch im Namen seiner Strom- Tochterfirma PreussenElektra direkt an Bundeskanzler Schröder. Der Entwurf wolle „die rechtliche und wirtschaftliche Position der Kernkraftwerksbetreiber völlig aushöhlen“, klagte er in einem Brief an den Bundeskanzler und drohte, den anstehenden Konsensgesprächen über den Ausstieg „würde damit die Grundlage entzogen, bevor sie überhaupt begonnen haben“.

Der Veba-Vorstandsvorsitzende sah den Gesetzentwurf außerdem „im völligem Widerspruch zur Koalitionsvereinbarung“ von SPD und Grünen, obwohl er sich genau an die sechs Vorgaben des rot-grünen Programms hält. Wie von Rot-Grün unter dem Punkt „Streichung des Förderzwecks“ vorgegeben, will der Entwurf zunächst das Atomgesetz von einer Vorschrift „zur Förderung der friedlichen Nutzung der Kernenergie“ in ein Gesetz zur sicheren und geordneten Beendigung der Atomkraftnutzung umwandeln. Dazu gehört in dem Entwurf auch das Verbot, neue Atomkraftwerke zu genehmigen. Auch die Sicherheitsüberprüfung aller Atomanlagen binnen eines Jahres, die der Entwurf in seinem Paragraphen 19 vorschreiben will, entspricht genau den Vorgaben der Koalitionsverhandlungen.

Aus der gesetzlichen „Beschränkung der Entsorgung auf die direkte Endlagerung“, wie sie der Koalitionsvertrag verlangt, folgt das im Gesetzentwurf festgeschriebene Verbot der Wiederaufarbeitung: „Die Abgabe bestrahlter Brennelemente an Dritte zum Zwecke der Aufarbeitung ist unzulässig“, heißt es dort klar.

Auch die Erhöhung der Deckungsvorsorge, also der Versicherung der AKW-Betreiber gegen Unfälle, sieht die Koalitionsvereinbarung genauso explizit wie der Gesetzentwurf vor. Bei der Verzehnfachung der Deckungsvorsorge von heute 500 Millionen auf 5 Milliarden Mark kann sich der Entwurf auf die USA berufen, wo für AKW-Unfälle sogar eine finanzielle Sicherheit von etwa 7,8 Milliarden Dollar vorhanden ist.

Wirkung hat die Kritik der AKW-Betreiber dennoch bereits gezeigt. Vor drei Wochen hatte Jürgen Trittin den Gesetzentwurf nach eigenen Bekunden noch „in der Aktentasche“, inzwischen leugnet er öffentlich dessen Existenz. Jürgen Voges

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