: Nicht ganz koscher
■ Wie der NDR mal eine jüdische TV-Reihe plante, sie dann aber wohl zu antisemitisch fand
Chuzpe ist ein Wort, das aus dem Jiddischen stammt und eine Steigerung von Frechheit bezeichnet. Vielleicht ein passender Name für Deutschlands erstes jüdisches TV-Magazin, dachte man sich wohl beim NDR, als man in dem Sender vor einiger Zeit ein solches Magazin plante.
Auf die Idee, daß ein jüdisches Magazin im deutschen Fernsehen interessant sein könnte, war vor zwei Jahren die kleine Hamburger TV-Firma Polis gekommen. Sie gewann die niedersächsische Filmförderung als Finanzier und den NDR als Sender. Doch es ging schon schlecht los, als der Pilotfilm in diesem Jahr fertig war: Die als Moderatorin gewonnene Schauspielerin Adriana Altaras begann mit dem Satz: „Der einzige, der sich antisemitische Äußerungen in meiner Nähe erlauben darf, ist mein Freund, der kennt mich.“ Das war nicht besonders aufregend. Trotzdem fiel der Satz bei der Abnahme im NDR durch.
Ebenso erging es auch einem anderen Teil der neuen Sendung – einem Interview mit einer jungen nichtjüdischen Frau, die mit einem Juden zusammenlebte und ihn heiraten wollte: „Was ich schon oft gehört habe, ist, daß nichtjüdische Frauen vor allem dazu da sind, um mit ihnen Spaß zu haben, ins Bett zu gehen, und jüdische Frauen letztendlich zum Heiraten, Leben verbringen und Kinder kriegen.“ Das Gespräch war drei Jahre alt, die Beziehung der beiden mittlerweile längst in die Brüche gegangen, und der junge Mann erzählte im Studio, daß aus der avisierten Heirat aus allerlei Gründen nichts wurde, die mit Judentum nichts zu tun hätten.
Beide Aussagen, fanden angeblich die NDR-Redakteure, könnten antisemitisch wirken. So wurde es jedenfalls von Polis Film kolportiert. Im NDR selbst ist Genaueres über die Sache eigenartigerweise nicht zu erfahren. Die zuständige Redakteurin Annemarie Stoltenberg will nicht darüber reden – sie glaubt, Redakteure sprächen nie mit Journalisten, dafür gebe es die Pressestelle. Die verweist nur auf einen Leserbrief, den NDR- Fernsehchef Jürgen Kellermeier, an die Welt geschrieben hat, die über den Fall berichtet hatte. Da steht zwar gar nichts zu dem angeblichen Antisemitisverdacht. Dafür bestreitet Kellermeier, daß man ein Magazin wie „Chuzpe“ jemals regelmäßig machen wollte: Es sei „irreführend, von einem Pilotfilm zu sprechen, so als sei bereits geplant oder beschlossen, weitere Folgen von ,Chuzpe‘ zu produzieren und in Programmen des NDR zu senden. Solche Absichten gibt es nicht.“ Polis-Film allerdings ist der Meinung, mit dem NDR über eine längere Zusammenarbeit gesprochen zu haben. So läßt sich nicht ermitteln, was nun aus dem fragliche Band wird. Ob das Magazin jemals zu sehen sein wird, ist völlig unklar.
Der Ansatz der geschmähten Macher war, „wirklich jüdische Themen zu behandeln“, so Produzent Jürgen Hobrecht – „bei uns geht es um lebendige Juden“. In der Pilotsendung gab es ein Porträt eines jüdischen Geigers in New York, der als Standup-Comedian bezeichnet wird, ein Interview mit Yehudi Menuhin über sein Judentum, das Porträt einer jüdischen Gemeinde in der Oberpfalz, die dank russischer Einwanderer stark wuchs und das Porträt eines 15jährigen Makkabi-Basketballers aus Köln. Das ist alles etwas langweilig. Der Basketballer etwa berichtet zunächst, daß er eigentlich alles ißt, dann aber muß er noch umfänglich erklären, was eigentlich koscheres Essen ist.
So sagt selbst Moderatorin Altaras über den Film: „Hundertfach frecher müßte die Sendung sein“. Und fügt hinzu: „Oder, wenn Sie so wollen, hundertfach antisemitischer.“ Martin Krauß
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