piwik no script img

Indonesien in Turbulenzen

Die jüngsten Unruhen in Indonesien zeigen, daß in dem südostasiatischen Land auch sechs Monate nach dem Rücktritt des langjährigen Diktators Suharto noch längst nicht entschieden ist, ob die Kräfte der Reform oder der Restauration die Oberhand gewinnen. Fest steht nur, daß das Reich der 17.000 Inseln in einer tiefen wirtschaftlichen Krise steckt. Und es war nicht der Ruf nach Demokratie, so schreibt Rüdiger Siebert in „Indonesien. Inselreich in Turbulenzen“, sondern eben die Wirtschaftsprobleme, die Suharto schließlich zu Fall brachten. Der Clan des Diktators hatte das Land mit der viertgrößten Einwohnerzahl auf der Welt zu einem Selbstbedienungsladen gemacht und mit einem Netz guter Verdingungen – in Indonesien „koneksi“ genannt – überzogen.

Davon profitierten, wie Siebert an Beispielen zeigt, in den Boomjahren auch zahlreiche Mitglieder der Mittelschicht. Anhand von Einzelpersonen und Familien zeigt Siebert die Entwicklungen, Brüche und Konstanten in Indonesien. Nach einem eher analytischen und überblicksartigen Einleitungskapitel reiht er sozial engagiert und lebendig geschriebene Reportagen, Kurzgeschichten und Interviews aneinander. Siebert besucht prominente und unbekanne Indonesier zu Hause oder an ihrem Arbeitsplatz.

Er trifft den mit einem Publikationsverbot belegten Schriftsteller Pramoedya Ananta Toer, dessen Enkel das für indonesische Mittelschichtskids typische Konsumverhalten an den Tag legen und auf den ersten Blick nichts von den kritischen Fähigkeiten ihres weltbekannten Großvaters geerbt zu haben scheinen. Siebert trifft Arbeiterinnen aus Weltmarktfabriken, die heimlich Streiks organisieren, um bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen.

Siebert, der das indonesische Programm der Deutschen Welle leitet, gilt als einer der besten deutschsprachigen Kenner des Landes. Er beobachtet einfühlsam und schildert genau und mit einem feinen Gefühl für Sprache. Siebert zeichnet nicht nur politische Entwicklungen nach, sondern widmet sich auch ausführlich kulturellen und gesellschaftlichen Fragen. Wie äußern sich Laser Discs und Karaoke auf einer abgelegenen Insel? Wie werden 60 Fernsehprogramme genutzt, die mit der Parabolantenne empfangen werden können, die vom Geld gekauft wurde, das ein im Ausland arbeitendes Familienmitglied regelmäßig überwiesen hat? Welche Rolle spielt der Islam im Alltag? Das Buch ist eine Momentaufnahme, seine Stärke besteht darin, daß die Menschen in erster Linie selbst zu Wort kommen. Sven Hansen

Rüdiger Siebert: „Indonesien. Inselreich in Turbulenzen“. Horlemann-Verglag, Unkel/Rhein, Bad Honnef, 254 Seiten, 29,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen