piwik no script img

Trittin stemmt sich gegen Schröders Atomlobbyismus

■ Der Umweltminister verteidigt die geplante Änderung des Atomgesetzes gegen den Kanzler. Der will der Atomindustrie bei den Konsensgesprächen entgegenkommen. Zur ersten Runde war nicht Trittin, aber Wirtschaftsminister Werner Müller geladen

Bonn (taz) – Kurz vor der Weihnachtspause droht in Bonn der erste Koalitionskrach. Gestern verstärkten sich die Anzeichen dafür, daß zwischen den rot-grünen Partnern tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten über die Ausgestaltung des geplanten neuen Atomgesetzes und den Inhalt der Konsensgespräche mit den Energieversorgern bestehen. An einem Sondierungsgespräch von Bundeskanzler Gerhard Schröder mit der Stromwirtschaft nahm gestern zwar der parteilose Wirtschaftsminister und frühere Veba- Manager Werner Müller teil, nicht aber Umweltminister Jürgen Trittin, dessen Behörde die Atomrechtsnovelle erarbeitet. Schröder dazu: „Wen ich einlade, den lade ich ein.“ Beobachter in Bonn sehen darin eine Brüskierung des bündnisgrünen Politikers, die ihre Ursache in inhaltlichen Differenzen hat.

Der Kanzler machte deutlich, daß er alle strittigen Themen in den geplanten Konsensgesprächen mit der Energiewirtschaft behandeln will, die bereits im Januar beginnen sollen. Dazu gehören aus seiner Sicht auch Fragen der Entsorgung sowie die umstrittene Höherbesteuerung von Rückstellungen der Kernkraftwerksbetreiber. Sollte Schröder diese Besteuerung weiterhin ablehnen, dann könnte dies zu einem Konflikt mit seinem Finanzminister und Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine führen: Der hatte bereits mit mindestens 1,9 Milliarden Mark zusätzlichen Einnahmen gerechnet.

Noch weit schwerwiegender aber sind offenbar die Meinungsverschiedenheiten zwischen Kanzler und Umweltminister. Während Schröder auf die Konsensgespräche setzt, sieht das Gesetz vor, die Deckungsvorsorge für bestehende Atomanlagen zu erhöhen, den Förderzweck der Atomenergie zu streichen und die Beweislast bei begründetem Gefahrenverdacht den Betreibern aufzuerlegen. Vor allem aber: Die Entsorgung von abgebrannten Brennelementen soll auf die direkte Endlagerung beschränkt und ihre Wiederaufarbeitung verboten werden.

Zur Wiederaufarbeitung gibt es langfristige Verträge, unter anderem mit der französischen Atomanlage La Hague. Welche Regelung hier möglich ist, hängt also nicht zuletzt von der Interpretation der Verträge ab. „Wenn man die vertraglichen und die völkerrechtlichen Vereinbarungen nicht beachtet, laufen wir in Schadenersatzforderungen“, erklärte gestern der Kanzler. Dagegen Umweltminister Trittin: „Der Souverän, der Bundestag, kann doch nicht in seiner Entscheidungskompetenz gebunden werden, ob er eine Wiederaufarbeitung will. Das ist auch von den Franzosen in den Verträgen so akzeptiert.“

Mit dem neuen Atomgesetz würde auch die Inbetriebnahme des umstrittenen Forschungsreaktors München II unterbunden, dessen dritte atomrechtliche Genehmigung noch aussteht. Errichtungs- und Betriebsgenehmigungen für Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen mit einer thermischen Leistung von mehr als einem Megawatt sollen grundsätzlich ausgeschlossen werden.

Bettina Gaus/Wolfgang Gast

Bericht Seite 4

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen