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■ Iran: Die jüngste Mordwelle läßt viel Raum für SpekulationenDie Reise ins Ungewisse

Die Opfer kennen wir: Intellektuelle, die glaubten, mit der Wahl Chatamis sei die Zeit gekommen, für die Öffnung der iranischen Gesellschaft einzutreten. Sie haben sich getäuscht und für ihren Irrtum mit dem Leben bezahlt. Die Täter kennen wir noch nicht. Aber niemand im Iran zweifelt daran, daß sie den höchsten Stellen der Islamischen Republik nahestehen. Der Versuch des Revolutionsführers Chamenei, Washington für die Morde an den iranischen Dissidenten verantwortlich zu machen, wird von der Mehrheit der Bevölkerung als lächerlich empfunden.

Aber warum zaudert der einst so populäre Präsident Chatami, der mehr Demokratie wagen wollte? Zwar spricht er vom „religiösen Faschismus“, doch er vermeidet, Roß und Reiter beim Namen zu nennen. Nicht zuletzt deshalb kursieren unglaubliche Gerüchte bis hin zur absurden Behauptung, auch Chatami habe von diesen Mordplänen gewußt oder sogar daran mitgewirkt. Solche Unterstellungen, die sogar in deutschen Zeitungen zu lesen sind, zeigen, daß nicht nur die Ausländer, sondern auch wir Iraner über die Rolle Chatamis wenig wissen.

Chatami ist nicht angetreten, um die Islamische Republik zu beseitigen. Er ist kein Gorbatschow des Gottesstaates. Seine Reformen haben eine Grenze, und sie lautet: die Verfassung der Islamischen Republik. Chatamis Wahl wäre ohne Hilfe der Technokraten, die sich „Diener des Aufbaus“ nennen, nicht denkbar gewesen. Doch diese Technokraten gehen inzwischen ihren eigenen Weg. Auch sie haben gemerkt, zuviel Öffnung könnte die gesamte Macht im Iran gefährden. Und die reaktionären Kräfte um den Revolutionsführer Chamenei haben bei jeder Gelegenheit klargemacht, daß die Islamische Republik nicht im weltlichen Sinne reformierbar ist. Kein Wunder, daß sich unter Chatamis Wählern, die einst 70 Prozent der Bevölkerung ausmachten, Enttäuschung ausbreitet. Zumal sich die wirtschaftliche Lage rapide verschlechtert hat.

Wohin geht also die Reise im Iran? Ein Aufstand oder eine Revolution stehen nicht unmittelbar bevor, denn die Enttäuschung über die letzte Revolution dauert noch an. Aber man wendet sich nicht nur von den klerikalen Herrschern, sondern auch von allen anderen politischen Gruppen ab. Und was soll das Ausland tun? Die Diplomaten sollten die diplomatische Sprache vergessen und sich einmischen. Denn die Herrschenden der Islamischen Republik sind mehr auf gute Beziehungen zum Ausland, vor allem zu Europa, angewiesen als umgekehrt. Ali Sadrzadeh

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