: Bittere Medizin für das Gesundheitssystem
Morgen wollen Tausende Ärzte gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung in den Streik treten. Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Bündnisgrüne) wehrt sich: Sie wirft den Lobbyisten vor, die Grundformen menschlichen Anstands verloren zu haben. ■ Von Annette Rogalla
taz: Mögen Sie eine Zigarette?
Andrea Fischer: Bitte nicht. Es ist nicht gerade einfach, mit dem Rauchen aufzuhören, wenn man gerade den größten Streß seines Lebens hat.
Sind Sie nervös, weil ihr Gesundheitsgesetz bei Ärzten so schlecht ankommt?
Nein, ich bin keineswegs nervös. Ich wußte ja vorher, daß im Gesundheitswesen mit harten Bandagen gekämpft wird. Aber daß meine Gegener mit ihrer Kritik auch einfach ein paar Grundformen menschlichen Anstands verloren haben, überrascht mich.
Spielen Sie auf den Sozialexperten der SPD an, Rudolf Dreßler, der Ihnen handwerkliche Fehler beim Vorschaltgesetz vorwirft?
Wir haben unsere Irritationen beseitigt.
Hat er versprochen, Ihnen nie wieder ins Handwerk zu pfuschen?
Die taz ist nicht der richtige Ort, über mein Gespräch mit Herrn Dreßler zu berichten.
Wo sonst? Schließlich hat er es Ihnen durch die Zeitung gesagt.
Das ist nicht mein Stil, was ich Herrn Dreßler zu sagen habe, sage ich im persönlichen Gespräch. Außerdem möchte ich betonen, daß ich für mein Vorschaltgesetz die volle Rückendeckung der beiden Koalitionspartner und der SPD- geführten Bundesländer habe.
Am Freitag wollen Tausende Ärzte streiken. Dieser Protest ist doch auch berechtigt. Sie deckeln die Honorare, obwohl ein im Arzt im Osten für eine Magenspiegelung nur 45 Mark bekommt.
Ich als Ministerin bin nicht dafür verantwortlich, wenn etwa Hausärzte ein niedrigeres Honorar erhalten als Radiologen und andere Apparatemediziner. Die Honorare verteilt die ärztliche Selbstverwaltung, also die einzelne Kassenärztliche Vereinigung. Insbesondere in den großstädtischen Bereichen haben die niedergelassenen Fachärzte durchgesetzt, daß die Hausärzte immer schlechtere Budgets bekommen. Der Vorwurf, ich ließe Ärzte verarmen, fällt auf sie selbst zurück.
Die Ärzte sagen, wenn im kommenden Herbst die Budgets ausgeschöpft sind, könnten sie nur noch Notbehandlungen anbieten.
Das ist einfach nicht wahr. Die Ärzte bekommen nicht weniger Geld. Ganz im Gegenteil, sie bekommen einen Zuwachs, der sich an dem Anstieg der Löhne und Gehälter der Krankenversicherten orientiert. Das ist sozial gerecht und auch notwendig, um die Beiträge und die Lohnnebenkosten im Zaum zu halten.
Warum tragen Sie und die Ärzte ihre politischen Konflikte auf dem Rücken der Patienten aus?
Die Ärzte nutzen ihre Nähe zu den Patienten, die sie täglich behandeln, um sie für ihre materiellen Interessen zu instrumentalisieren. Tatsache ist aber, daß in den vergangen sieben Jahren die Arzthonorare um 30 Prozent gestiegen sind, gleichzeitig haben wir nur 20 Prozent mehr Ärzte bekommen. Wer meint, die Milliarde, die im Arzneimittelbereich gespart werden soll, führt zu einer schlechteren Versorgung, irrt. In der letzten Zeit sind die Ausgaben für Arzneimittel exorbitant gestiegen, unsere Budgets sind konsequenterweise die Aufforderung an die Ärzte, zu überdenken, welche Verordnungen notwendig sind. Einige Kassenärztliche Vereinigungen geben Behandlungsleitlinien heraus und machen ärztliches Qualitätsmanagement. Die haben seit Jahren keine Probleme mit den Budgets, und die Patienten werden dort nicht schlechter als anderswo versorgt.
Künftig werden die Krankenkassen kaum mehr Geld zur Verfügung haben. Wie lange kann die Solidargemeinschaft es sich leisten, Ehepartner, die weder Kinder erziehen noch Angehörige pflegen, kostenlos mitzuversichern?
Darüber kann man diskutieren, aber ich halte mich mit diesen Überlegungen zurück, weil da meist die Frage hinter steckt: Wie kommt mehr Geld in das System? Das Argument „Gute Medizin gibt es nur gegen viel Geld“ will nur die Strukturreform verhindern. Mehr Geld zu nehmen, um mehr auszugeben, ist immer die leichteste Lösung. Wir haben heute nicht zuwenig Geld im System. Weltweit liegen wir auf der Ausgabenseite an dritter Stelle. Aber sind wir deswegen auch gesünder?
Ist es nicht wahr: Je besser die Medizin, um so mehr Kranke produziert sie, desto teurer wird das System?
Es geht nicht um die Menge des Geldes. Die ambulanten Praxen müssen besser mit den Krankenhäusern verzahnt werden. Wir brauchen eine Positivliste bei den Arzneimitteln. Ich will eine Strukturreform.
Das wollte Ihr Vorgänger auch. Er hat nicht mal eine Liste durchgebracht, auf der die Medikamente geführt sind, die wirkungsvoll und kostengünstig sind. An der Positivliste ist er gescheitert.
Weil er einen Bundeskanzler hatte, der sie nicht wollte. Und er hatte eine FDP, die sie verhindert hat.
Bei der Positivliste droht doch wieder Krach. Die SPD will keine Naturheilmittel auf die Liste setzen. Die Grünen schon.
(lacht) Ja, auch darüber wird noch zu reden sein.
Das größte Hindernis dürften die Kliniken werden. Bislang liegen sie in der Verantwortung der Länder. Wie wollen Sie die davon überzeugen, die Kliniken in die Obhut der Kassen zu geben?
Das wird ein langwieriger Weg. Allein, weil es sich um riesige Summen handelt, die von den Ländern an die Krankenkassen verschoben werden müssen. Das geht nicht so schnell. Zuerst sollten wir damit anfangen, die laufenden Investitionskosten in die Hände der Kassen zu geben. Aber Krankenhauspolitik ist grundsätzlich schwierig. Sobald heute Betten abgebaut werden, verstehen Patienten das nicht. Wir werden noch oft erklären müssen, daß Bettenreduzierung nicht per se schlecht ist, sondern auch ein Ausdruck davon, daß Liegezeiten verkürzt werden und die ambulante Behandlung einen höheren Stellenwert erhält.
Wird die Reform in einer Legislaturperiode zu schaffen sein?
Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, daß die Strukturreform am 1.1.2000 in Kraft tritt.
In welchen Stufen soll sie angegangen werden?
Ich habe noch keinen ausgereiften Plan. Wir werden die Reform in Fachdialogen besprechen. Nach meinen derzeitigen Erfahrungen macht es keinen Sinn, alle Beteiligten gleichzeitig an einen Tisch zu bitten. Anfang kommenden Jahres werden SPD und Grüne zu diesem Thema in Klausur gehen.
Werden Sie Ärzten und Lobbyisten zeigen, wie eisenhart Andrea Fischer sein kann?
Das, was ich jetzt erlebe, warnt mich. Allein diese Erfahrung. Ich denke, die wird Auswirkungen auf das Ausmaß meiner Kompromißbereitschaft in der Zukunft haben. Aber trotz der aufgeregten Diskussion in den vergangenen Tagen bin ich zuversichtlich, daß eine Strukturreform mit allen Beteiligten zustande kommt. Schließlich wissen die Ärzte ja auch, daß es so nicht weitergehen kann.
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