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Augusto Pinochet darf wieder hoffen

Weil einer der fünf Lordrichter auch für amnesty international tätig ist und deshalb als befangen gilt, muß das gesamte Verfahren um die Immunität von Chiles Ex-Diktator in London neu aufgerollt werden  ■ Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) – Genießt er nun doch Immunität? Der chilenische Ex-Diktator Augusto Pinochet darf wieder hoffen: Gestern hoben die Lordrichter, Englands höchste Rechtsinstanz, das Urteil ihrer Kollegen vom 25. November auf und ordneten eine neue Anhörung an. Die fünf Richter hatten damals entschieden, daß Pinochet sich nicht auf Immunität für Staatsoberhäupter berufen könne. Innenminister Jack Straw gab daraufhin die Genehmigung zum Auslieferungsverfahren. Spanien will den Ex-Diktator wegen Folter, Entführung und Mordkomplotts vor Gericht stellen.

Chefrichter Lord Browne-Wilkinson sagte gestern: „Ich habe mich davon überzeugt, daß die frühere Entscheidung dieses Hauses nicht so stehenbleiben darf, sondern aufgehoben werden muß.“ Die Begründung werde nachgereicht, sagte Browne-Wilkinson, doch die Beteiligten hätten ein Recht darauf, so früh wie möglich über die Entscheidung informiert zu werden.

Die Gründe sind ohnehin klar: Lord Hoffmann, einer der fünf Richter, die mit knapper Mehrheit gegen Pinochet entschieden hatten, ist Direktor einer Wohlfahrtsorganisation, die eng mit amnesty international zusammenarbeitet. Darüber hinaus ist seine Frau Gillian im internationalen Sekretariat der Menschenrechtsorganisation beschäftigt. Amnesty international durfte über einen Anwalt ein Papier zur damaligen Verhandlung einreichen. Pinochets Anwälte warfen Hoffmann deshalb Befangenheit vor.

Amnestys Anwalt Peter Duffy sagte, Hoffmanns Verbindung mit der Organisation sei sehr begrenzt, er sei weder Mitglied noch habe man ihn bei politischen Fragen zu Rate gezogen. Außerdem stimme er mit amnesty in vielen Punkten, zum Beispiel bei der grundsätzlichen Ablehnung der Todesstrafe, nicht überein.

Staatsanwalt Alun Jones argumentierte, daß Hoffmann seine Verbindungen zu amnesty nicht erwähnt habe, weil „er wohl davon ausgegangen ist, daß sie ohnehin bekannt sind“. Browne-Wilkinson sagte jedoch, es sei Hoffmanns Pflicht gewesen, das Gericht über seine Verbindungen zu informieren: „Ansonsten mißachten wir die erste Lektion, die ich über englisches Recht gelernt habe: Die Gerechtigkeit muß nicht nur siegen, sondern sie muß auch für jeden ersichtlich sein.“

Es ist das erste Mal in der englischen Rechtsgeschichte, daß ein Urteil des Oberhauses wegen Befangenheit angezweifelt, geschweige denn aufgehoben worden ist. Das Auslieferungsverfahren ruht nun vorerst. Welche fünf Richter die Anhörung im Januar leiten werden, steht noch nicht fest. Wahrscheinlich werden es aber dieselben sein, die gestern das Urteil gefällt haben: Neben Browne- Wilkinson sind das Lord Hutton und Lord Hope sowie Lord Goff und Lord Nolan, die beide vor kurzem pensioniert worden sind.

Schockiert zeigten sich Organisationen der Exilchilenen. Ein Sprecher sagte: „Es scheint, die Lordrichter hätten jetzt beschlossen, daß jeder, der sich um Menschenrechte kümmert, in diesem Fall als befangen anzusehen wäre.“

Eine Sprecherin für amnesty international sagte: „Wir hoffen weiterhin, daß er ausgeliefert wird. Wir hoffen, daß die neue Entscheidung abermals zu unseren Gunsten ausfällt.“ Entscheiden sie für Pinochet, kann der Ex-Diktator umgehend in sein Privatflugzeug steigen, das auf einem Militärflughafen südlich von London geparkt ist, und nach Hause reisen.

Peter Duffy wies während der Verhandlung darauf hin, daß sich viele Richter in Menschenrechtsgruppen oder Wohlfahrtsorganisationen engagierten. Wenn sie das jedesmal aufzählen müßten, wäre es sehr schwierig, überhaupt ein Verfahren zu eröffnen, sagte Duffy. Browne-Wilkinson unterbrach ihn an dieser Stelle und sagte: „Volltreffer, Herr Duffy. Mir ist gerade eingefallen, daß ich Direktor des Britischen Instituts für Menschenrechte bin.“ Kommentar Seite 12

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